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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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an einem schwarzen Metalldraht zog,
    den sie durch die Löcher eines im
    Schraubstock eingespannten Zieheisens führte.
    An dem Werktisch arbeitete Lorilleux, der
    ebenfalls von kleiner Statur war, aber
    schmalere Schultern hatte, mit der Spitze
    seiner Zange mit einer affenartigen
    Geschwindigkeit an einer Arbeit, die so fein
    war, daß sie sich zwischen seinen knotigen
    Fingern verlor. Als erster hob der Ehemann
    den Kopf, einen länglichen und kränklichen
    Kopf mit spärlichem Haar, der von der gelben
    Blässe alten Wachses war.
    »Aha, ihr seid es, gut, gut«, murmelte er. »Wir
    haben es eilig, wißt ihr ... Kommt nicht in die
    Werkstatt, das würde uns stören. Bleibt in der
    Stube.« Und er nahm seine feine Arbeit wieder
    auf, das Gesicht erneut im grünlichen
    Widerschein einer mit Wasser gefüllten
    Schusterkugel, durch die die Lampe einen
    Kreis grellen Lichtes auf sein Werk sandte.
    »Nimm die Stühle!« rief nun Frau Lorilleux.
    »Das ist die Dame, nicht wahr? Sehr gut, sehr
    gut!« Sie hatte den Draht aufgewickelt; sie
    brachte ihn zur Schmiede, und dort fachte sie
    die Glut mit einem breiten hölzernen Fächer
    an und glühte ihn aus, bevor sie ihn durch die
    letzten Löcher des Zieheisens zog.
    Coupeau schob die Stühle vor und ließ
    Gervaise am Rand des Vorhangs Platz
    nehmen. Der Raum war so schmal, daß er sich
    nicht neben ihr niederlassen konnte. Er setzte
    sich hinter sie, und er beugte sich vor, um ihr
    dicht an ihrem Hals Erläuterungen über die
    Arbeit zu geben. Die junge Frau, die von dem
    seltsamen Empfang der Lorilleux bestürzt war
    und der unter ihren schief en Blicken
    unbehaglich wurde, verspürte ein Sausen in
    den Ohren, das sie daran hinderte, etwas zu
    verstehen. Sie fand, daß die Frau für ihre
    dreißig Jahre sehr alt wirkte, mürrisch und
    unsauber aussah mit ihrem Kuhschwanzhaar,
    das sich über ihrer aufgegangenen Unterjacke
    zusammengerollt hatte. Der nur ein Jahr ältere
    Mann kam ihr wie ein Greis vor, mit dünnen,
    boshaften Lippen, in Hemdsärmeln, die
    nackten Füße in ausgetretenen Pantoffeln. Und
    was sie besonders aus der Fassung brachte,
    war die Kärglichkeit der Werkstatt, die
    besudelten Wände, das glanzlose alte Eisen
    der Werkzeuge, der ganze schwarze Schmutz,
    der hier in dem Gerumpel eines
    Schrotthändlers herumlag. Es War schrecklich
    heiß. Schweißtropfen perlten auf Lorilleux'
    grün gewordenem Gesicht, während sich Frau
    Lorilleux entschloß, ihre Unterjacke
    auszuziehen und mit nackten Armen und auf
    die herabhängenden Brüste anklatschendem
    Hemd dastand.
    »Und das Gold?« fragte Gervaise halblaut.
    Ihre unruhigen Blicke durchwühlten die Ecken
    und suchten unter all diesem Dreck den Glanz,
    von dem sie geträumt hatte.
    Aber Coupeau hatte zu lachen begonnen.
    »Das Gold?« sagte er. »Sehen Sie, da ist
    welches, da ist noch welches, und da zu ihren
    Füßen ist welches!«
    Er hatte nacheinander auf den dünner
    gewordenen Draht, den seine Schwester
    bearbeitete, und auf ein anderes Bündel Draht
    gewiesen, das wie ein Packen Eisendraht
    aussah und neben dem Schraubstock an der
    Wand hing; dann hatte er, sich auf alle viere
    niederlassend, soeben auf der Erde unter dem
    Lattenrost, der den Fliesenboden der Werkstatt
    bedeckte, ein Stück Abfall aufgelesen, ein
    Drähtchen, das der Spitze einer verrosteten
    Nähnadel glich. Gervaise erhob laut
    Einspruch. Das sei doch nicht etwa Gold,
    dieses schwärzliche Metall, das häßlich wie
    Eisen war! Er mußte das Abfallstück anbeißen
    und ihr die von seinen Zähnen herrührende
    glänzende Einkerbung zeigen. Und er setzte
    seine Erklärungen fort: die Arbeitgeber
    lieferten das Gold als Draht, fertig legiert; die
    Arbeiter zögen ihn zuerst durch das Zieheisen,
    um ihn auf die gewünschte Stärke zu bringen,
    wobei sie darauf achten müßten, ihn während
    des Arbeitsvorgangs fünf oder sechsmal
    auszuglühen, damit er nicht reiße. Oh, dazu
    brauche man feste Fäuste und Übung! Seine
    Schwester lasse ihren Mann nicht das
    Zieheisen anfassen, weil er huste. Sie habe
    famose Arme, er habe gesehen, wie sie das
    Gold so dünn wie ein Haar zog.
    Von einem Hustenanfall erfaßt, krümmte sich
    inzwischen Lorilleux auf seinem Hocker.
    Mitten in dem heftigen Hustenanfall redete er
    und sagte mit erstickter Stimme, immer noch
    ohne Gervaise anzusehen, als stelle er die
    Tatsache einzig und allein für sich fest:
    »Ich, ich mache die Säule.«
    Coupeau nötigte Gervaise aufzustehen. Sie
    könne gern näher

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