Der Todschlaeger
Gewichtigkeit
eines Arbeitgebers. Er spuckte ausgiebig und
rollte seine großen Augen.
»Mein Gott«, sagte er, »man könnte ja ins
Museum gehen ...« Und er streichelte sich das
Bann, wobei er die Gesellschaft mit einem
Blinzeln fragend anblickte. »Da sind
Antiquitäten, Bilder, Gemälde, ein Haufen
Sachen. Es ist sehr lehrreich ... Vielleicht
kennen Sie das nicht. Oh, das muß man
zumindest einmal gesehen haben.«
Die Hochzeitsgäste schauten sich an, fühlten
einander auf den Zahn. Nein, Gervaise kannte
das nicht, Frau Fauconnier, Boche und die
anderen auch nicht. Coupeau glaubte eines
Sonntags mal hingegangen zu sein, aber er
erinnerte sich nicht mehr genau. Man zögerte
jedoch, bis Frau Lorilleux, auf die Herrn
Madiniers Gewichtigkeit großen Eindruck
machte, das Anerbieten schicklich und sehr
anständig fand. Da man nun mal den Tag
geopfert habe und angezogen sei, könne man
ebensogut etwas der Bildung halber
besichtigen. Alle stimmten zu. Da lieh man
sich, weil es noch immer ein wenig regnete,
vom Weinhändler Regenschirme, blaue, grüne
und kastanienbraune alte Regenschirme, die
die Kunden vergessen hatten, und man brach
zum Museum auf.
Die Hochzeitsgesellschaft wandte sich nach
rechts und ging durch den Faubourg
SaintDenis nach Paris hinunter. Laufend und
den anderen vorauseilend, schritten Coupeau
und Gervaise wiederum an der Spitze. Herr
Madinier hatte jetzt Frau Lorilleux den Arm
gereicht, da Mama Coupeau ihrer Beine wegen
in der Weinschenke zurückgeblieben war.
Dann kamen Lorilleux und Frau Lerat, Boche
und Frau Fauconnier, RöstfleischBibi und
Fräulein Remanjou, zuletzt das Ehepaar
Gaudron.
Es waren zwölf Personen. Das ergab abermals
eine schöne lange Reihe auf dem Bürgersteig.
»Oh, wir haben nichts damit zu tun, das
schwöre ich Ihnen«, erklärte Frau Lorilleux
Herrn Madinier. »Wir wissen nicht, wo er sie
herhat, oder vielmehr, wir wissen es nur zu
gut, aber uns kommt es nicht zu, etwas zu
sagen, nicht wahr? – Mein Mann hat die
Trauringe kaufen müssen. Heute morgen beim
Aufstehen mußte er ihnen zehn Francs leihen,
sonst hätte nichts weiter stattgefunden ... Eine
Braut, die nicht einmal einen Verwandten zu
ihrer Hochzeitsfeier mitbringt! Sie sagt, sie
hätte in Paris eine Schwester, die eine
Fleischersfrau ist. Warum hat sie sie dann
nicht eingeladen?« Sie unterbrach sich, um auf
Gervaise zu zeigen, die wegen des
abschüssigen Bürgersteigs stark hinken mußte.
»Sehen Sie sie sich an! Ist das die
Möglichkeit! – So ein Hinkebein!«
Und das Wort »Hinkebein« machte die Runde
in der Gesellschaft. Lorilleux feixte und sagte,
man solle sie so nennen. Aber Frau Fauconnier
nahm Gervaise in Schutz: man tue unrecht,
sich über sie lustig zu machen, sie sei
blitzsauber und könne tüchtig arbeiten, wenn
es nötig sei. Frau Lerat, die immer voller
zotenhafter Anspielungen steckte, nannte das
Bein der Kleinen einen »Liebeskegel«, und sie
fügte hinzu, viele Männer liebten das, ohne
sich näher darüber auslassen zu wollen.
Die Hochzeitsgesellschaft, die aus der Rue du
Faubourg SaintDenis herauskam, überquerte
den Boulevard. Sie wartete einen Augenblick
angesichts der Flut der Wagen, dann wagte sie
sich über den Fahrdamm, der durch das
Gewitter in eine Lache strömenden
Schlammes verwandelt worden war. Der
Platzregen setzte wieder ein, die
Hochzeitsgesellschaft hatte eben die Schirme
aufgespannt; und unter den jämmerlichen
Musspritzen, die in den Händen der Männer
hin und her schwankten, rafften die Frauen
ihre Röcke hoch, die lange Reihe zog sich im
Schmutz auseinander und reichte von einem
Bürgersteig zum anderen. Da schrien zwei
halbwüchsige
Rüpel
wie
beim
Faschingsumzug, Spaziergänger eilten herbei,
Kramladenbesitzer,
die
belustigt
dreinschauten, stellten sich hinter ihren
Schaufenstern auf die Zehenspitzen. Inmitten
des Gewimmels der Menge bildeten die
feierlich dahinwandelnden Paare auf dem
grauen und nassen Untergrund des Boulevards
grelle Flecke: Gervaises tiefblaues Kleid, Frau
Fauconniers rohseidenes Kleid mit den
aufgedruckten Blumen, Boches kanariengelbe
Hose. Die Steifheit von Leuten im
Sonntagsstaat verlieh Coupeaus glänzendem
Gehrock und Herrn Madiniers eckigem Frack
eine karnevalsmäßige Drolligkeit, während
Frau Lorilleux' schöne Toilette, Frau Lerats
ausgefaserte Fransen und Fräulein
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