Der Todschlaeger
Coupeau erklärte, auf
MeineBotten brauche man nicht zu warten; der
Kumpel solle die Hochzeitsgesellschaft auf der
Landstraße nach SaintDenis treffen.
»Na ja!« rief Frau Lerat heim Eintreten. »Wir
kriegen gleich einen hübschen Guß! Das kann
ja ulkig werden!« Und sie rief die Gesellschaft
an die Tür der Weinschenke, damit sie sich die
Wolken ansehe, ein tintenschwarzes Gewitter,
das rasch im Süden von Paris aufzog.
Frau Lerat, die älteste der Coupeaus, war eine
große, hagere, männliche Frau, die durch die
Nase sprach und die geschmacklos mit einem
zu weiten flohbraunen Kleid ausgeputzt war,
dessen lange, ausgefaserte Fransen bewirkten,
daß sie einem mageren Pudel ähnelte, der aus
dem Wasser kommt. Sie spielte mit einem
Sonnenschirm wie mit einem Stock. Als sie
Gervaise geküßt hatte, fuhr sie fort:
»Sie machen sich ja keine Vorstellung, was für
eine Backpfeife man auf der Straße kriegt ...
Man könnte denken, es schmeißt einem
jemand Feuer ins Gesicht.«
Da erklärte jedermann, das Gewitter seit
langem zu spüren. Als man aus der Kirche
gekommen sei, habe Herr Madinier wohl
gesehen, was es geben würde. Lorilleux
erzählte, seine Hühneraugen hätten ihn von
drei Uhr morgens an nicht schlafen lassen. Im
übrigen könne das ja nicht anders ausgehen,
seit drei Tagen sei es nun wirklich schon allzu
heiß.
»Oh, das wird vielleicht gießen«, meinte
Coupeau mehrmals, der an der Tür stand und
mit besorgtem Blick fragend zum Himmel
hochsah. »Wir warten nur noch auf meine
Schwester, wir könnten trotz des Wetters
aufbrechen, wenn sie käme.«
Frau Lorilleux hatte sich tatsächlich verspätet.
Frau Lerat war soeben bei ihr vorbeigegangen,
um sie abzuholen; da sie sie aber dabei
angetroffen hatte, wie sie erst ihr Korsett
anlegte, hatten sich beide gestritten. Ins Ohr
ihres Bruders flüsternd, setzte die große Witwe
hinzu:
»Ich habe sie stehenlassen. Eine Laune hat die!
– Du wirst ja sehen, was für ein Gesicht sie
macht!«
Und die Hochzeitsgesellschaft mußte sich
noch eine Viertelstunde gedulden, trat in der
Gaststube der Weinschenke von einem Fuß auf
den anderen und wurde inmitten der Männer,
die hereinkamen, um einen Schoppen am
Schanktisch zu trinken, mit den Ellbogen
angerempelt und herumgestoßen. Ab und zu
gingen Boche oder Frau Fauconnier oder
Röstfleisch Bibi von den anderen weg, an den
Rand des Bürgersteiges vor und schauten zum
Himmel hoch. Es goß noch nicht; das
Tageslicht nahm ab, über den Erdboden
dahinsausende Windstöße wehten kleine
Wirbel weißen Staubs auf. Beim ersten
Donnerschlag bekreuzigte sich Fräulein
Remanjou. Alle Blicke richteten sich bang auf
die runde Wanduhr über dem Spiegel: es war
bereits zwanzig Minuten vor zwei.
»Da haben wir's!« rief Coupeau. »Jetzt weinen
die Engel.«
Eine Regenbö fegte über den Fahrdamm, auf
dem Frauen, ihre Röcke mit beiden Händen
festhaltend, flüchteten. Und in diesem ersten
Platzregen traf Frau Lorilleux endlich atemlos
und wütend ein und schlug sich auf der
Schwelle mit ihrem Regenschirm herum, der
nicht zugehen wollte.
»Hat man so was schon erlebt!« stotterte sie.
»Gerade an der Tür hat es mich erwischt. Ich
hatte Lust, wieder hinaufzugehen und mich
auszuziehen. Da hätte ich wirklich gut dran
getan ... Na, das ist ja eine schöne Hochzeit!
Ich habe es ja gesagt, ich wollte alles auf
nächsten Sonnabend verschieben. Und es
regnet, weil man nicht auf mich gehört hat!
Um so besser! Um so besser, wenn der
Himmel losbricht!«
Coupeau versuchte sie zu beruhigen. Aber sie
wünschte ihn zum Teufel. Er würde ihr Kleid
ja nicht bezahlen, wenn es verdorben sei. Sie
hatte ein schwarzes Seidenkleid an, in dem sie
keine Luft bekam; das zu enge Mieder spannte
in den Knopflöchern und schnitt an den
Schultern ein, und der wie ein Futteral
zugeschnittene Rock zwängte ihre Schenkel so
stark ein, daß sie ganz kleine Schritte machen
mußte. Die Damen der Gesellschaft
betrachteten sie dennoch mit verkniffenen
Lippen und sahen aufgebracht aus über ihre
Toilette. Sie schien Gervaise, die neben Mama
Coupeau saß, nicht einmal zu sehen. Sie rief
Lorilleux, bat ihn um sein Taschentuch; dann
wischte sie in einer Ecke der Gaststube
sorgfältig jeden einzelnen Regentropfen ab,
der auf die Seide gerollt war.
Inzwischen hatte der Platzregen jäh aufgehört.
Das Tageslicht nahm immer noch ab, es war
fast Nacht, eine bleifarbene, von
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