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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Aussehen und vor Hunger
    blassem Gesicht in großen Schritten herbei. Er
    beeilte sich mit seiner Messe, verschluckte die
    lateinischen Sätze, drehte sich hastig,
    verneigte sich, breitete die Arme aus und warf
    dabei schiefe Blicke auf das Brautpaar und die
    Zeugen. Das Brautpaar vor dem Altar, das sehr
    befangen war, weil es nicht wußte, wann es
    niederknien, sich erheben, sich setzen sollte,
    wartete auf eine Handbewegung des
    Meßdieners. Die Zeugen blieben, um
    schicklich zu sein, die ganze Zeit über stehen,
    während Mama Coupeau, die wieder die
    Tränen überkommen hatten, in das Meßbuch
    weinte, das sie sich von einer Nachbarin
    geliehen hatte.
    Inzwischen hatte es zwölf Uhr geschlagen, die
    letzte Messe war gelesen worden, die Kirche
    ward vom Getrippel der Mesner und vom
    Lärm, mit dem die Stühle wieder an ihren
    Platz gerückt wurden, erfüllt. Anscheinend
    wurde der Hauptaltar für irgendein Fest
    hergerichtet, denn man hörte den Hammer der
    Tapezierer, die Wandbehänge annagelten. Und
    hinten in der abgelegenen Kapelle, im Staub,
    den der ausfegende Küster aufwirbelte, ließ
    der Priester mit dem mürrischen Aussehen
    rasch seine dürren Hände über die gebeugten
    Köpfe von Gervaise und Coupeau hinfahren
    und schien sie mitten in einem Umzug,
    während einer Abwesenheit des lieben Gottes
    zwischen zwei ernsthaften Messen
    zusammenzugeben.
    Als die Hochzeitsgesellschaft in der Sakristei
    erneut in einem Register unterschrieben hatte
    und sich wieder in der vollen Sonne unter dem
    Portal befand, verweilten sie alle einen
    Augenblick dort, verdutzt und außer Atem
    darüber, daß man sie so im Galopp gejagt
    hatte.
    »Das wär's!« sagte Coupeau mit einem
    verlegenen Lachen. Er wiegte sich in den
    Hüften, hier fiel ihm nichts Witziges ein. Doch
    er setzte hinzu: »Nun ja, das ist schnell
    abgemacht. Die erledigen einem das mit ein
    paar Handgriffen ... Es ist wie beim Zahnarzt:
    man hat keine Zeit, ›Au!‹ zu schreien. Sie
    trauen kurz und schmerzlos.«
    »Ja, ja, gute Arbeit«, murmelte Lorilleux
    grinsend. »Das wird in fünf Minuten
    zusammengeschustert und hält das ganze
    Leben ... Ach, wirklich, der arme
    Schwarzbeersaftjung!«
    Und die vier Zeugen klopften dem
    Bauklempner, der einen krummen Buckel
    machte, auf die Schultern. Währenddessen
    küßte Gervaise lächelnd, wenn auch mit
    feuchten Augen, Mama Coupeau. Sie
    antwortete auf die stockenden Worte der alten
    Frau:
    »Haben Sie keine Angst, ich werde mein
    möglichstes tun. Wenn es schiefgeht, so ist das
    nicht meine Schuld. Bestimmt nicht, ich
    möchte zu gern glücklich sein ... Es ist nun
    mal geschehen, nicht wahr? Es liegt an ihm
    und an mir, uns zu verstehen und das Unsere
    dazu zu tun.«
    Darauf ging man geradeswegs zur
    »Moulind'Argent«. Coupeau hatte den Arm
    seiner Frau genommen. Lachend, gleichsam
    vorwärtsgerissen, gingen sie zweihundert
    Schritt vor den anderen schnell dahin, ohne
    Häuser, Passanten und Wagen zu sehen. Der
    trommelfellerschütternde Lärm der Vorstadt
    klang wie Glockengeläut in ihren Ohren. Als
    sie bei der Weinschenke ankamen, bestellte
    Coupeau sofort zwei Liter, Brot und
    Schinkenscheiben in das verglaste Gelaß im
    Erdgeschoß, ohne Teller und Tischtuch, bloß
    um einen kleinen Imbiß zu nehmen. Als er
    dann sah, wie Boche und RöstfleischBibi
    wirklichen Appetit an den Tag legten, ließ er
    einen dritten Liter und ein Stück Briekäse
    kommen. Mama Coupeau hatte keinen
    Hunger, ihr war die Kehle zu sehr
    zugeschnürt, als daß sie essen konnte.
    Gervaise, die vor Durst verging, trank große
    Gläser Wasser, das nur ganz wenig mit
    Rotwein vermischt war.
    »Das ist meine Sache«, sagte Coupeau und
    ging unverzüglich zum Schanktisch, wo er vier
    Francs fünf Sous bezahlte.
    Unterdessen war es ein Uhr geworden, die
    Gäste trafen ein. Frau Fauconnier, eine üppige,
    noch schöne Frau, erschien als erste; sie trug
    ein rohseidenes Kleid mit aufgedruckten
    Blumen, dazu ein rosa Band um den Hals und
    eine blumenüberladene Haube. Darauf kamen
    zusammen Fräulein Remanjou, ganz
    schmächtig in dem ewigen schwarzen Kleid,
    das sie selbst zum Schlafengehen anzubehalten
    schien, und das Ehepaar Gaudron, wobei der
    Mann, der schwerfällig wie ein Vieh war, bei
    der geringsten Bewegung sein braunes Jackett
    zum Krachen brachte und die Frau, die einen
    ungeheuren Umfang hatte, ihren Bauch, den
    Bauch einer schwangeren Frau, zur Schau
    stellte, dessen Rundung ihr grellila Rock noch
    mehr ausweitete.

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