Der Todschlaeger
Aussehen und vor Hunger
blassem Gesicht in großen Schritten herbei. Er
beeilte sich mit seiner Messe, verschluckte die
lateinischen Sätze, drehte sich hastig,
verneigte sich, breitete die Arme aus und warf
dabei schiefe Blicke auf das Brautpaar und die
Zeugen. Das Brautpaar vor dem Altar, das sehr
befangen war, weil es nicht wußte, wann es
niederknien, sich erheben, sich setzen sollte,
wartete auf eine Handbewegung des
Meßdieners. Die Zeugen blieben, um
schicklich zu sein, die ganze Zeit über stehen,
während Mama Coupeau, die wieder die
Tränen überkommen hatten, in das Meßbuch
weinte, das sie sich von einer Nachbarin
geliehen hatte.
Inzwischen hatte es zwölf Uhr geschlagen, die
letzte Messe war gelesen worden, die Kirche
ward vom Getrippel der Mesner und vom
Lärm, mit dem die Stühle wieder an ihren
Platz gerückt wurden, erfüllt. Anscheinend
wurde der Hauptaltar für irgendein Fest
hergerichtet, denn man hörte den Hammer der
Tapezierer, die Wandbehänge annagelten. Und
hinten in der abgelegenen Kapelle, im Staub,
den der ausfegende Küster aufwirbelte, ließ
der Priester mit dem mürrischen Aussehen
rasch seine dürren Hände über die gebeugten
Köpfe von Gervaise und Coupeau hinfahren
und schien sie mitten in einem Umzug,
während einer Abwesenheit des lieben Gottes
zwischen zwei ernsthaften Messen
zusammenzugeben.
Als die Hochzeitsgesellschaft in der Sakristei
erneut in einem Register unterschrieben hatte
und sich wieder in der vollen Sonne unter dem
Portal befand, verweilten sie alle einen
Augenblick dort, verdutzt und außer Atem
darüber, daß man sie so im Galopp gejagt
hatte.
»Das wär's!« sagte Coupeau mit einem
verlegenen Lachen. Er wiegte sich in den
Hüften, hier fiel ihm nichts Witziges ein. Doch
er setzte hinzu: »Nun ja, das ist schnell
abgemacht. Die erledigen einem das mit ein
paar Handgriffen ... Es ist wie beim Zahnarzt:
man hat keine Zeit, ›Au!‹ zu schreien. Sie
trauen kurz und schmerzlos.«
»Ja, ja, gute Arbeit«, murmelte Lorilleux
grinsend. »Das wird in fünf Minuten
zusammengeschustert und hält das ganze
Leben ... Ach, wirklich, der arme
Schwarzbeersaftjung!«
Und die vier Zeugen klopften dem
Bauklempner, der einen krummen Buckel
machte, auf die Schultern. Währenddessen
küßte Gervaise lächelnd, wenn auch mit
feuchten Augen, Mama Coupeau. Sie
antwortete auf die stockenden Worte der alten
Frau:
»Haben Sie keine Angst, ich werde mein
möglichstes tun. Wenn es schiefgeht, so ist das
nicht meine Schuld. Bestimmt nicht, ich
möchte zu gern glücklich sein ... Es ist nun
mal geschehen, nicht wahr? Es liegt an ihm
und an mir, uns zu verstehen und das Unsere
dazu zu tun.«
Darauf ging man geradeswegs zur
»Moulind'Argent«. Coupeau hatte den Arm
seiner Frau genommen. Lachend, gleichsam
vorwärtsgerissen, gingen sie zweihundert
Schritt vor den anderen schnell dahin, ohne
Häuser, Passanten und Wagen zu sehen. Der
trommelfellerschütternde Lärm der Vorstadt
klang wie Glockengeläut in ihren Ohren. Als
sie bei der Weinschenke ankamen, bestellte
Coupeau sofort zwei Liter, Brot und
Schinkenscheiben in das verglaste Gelaß im
Erdgeschoß, ohne Teller und Tischtuch, bloß
um einen kleinen Imbiß zu nehmen. Als er
dann sah, wie Boche und RöstfleischBibi
wirklichen Appetit an den Tag legten, ließ er
einen dritten Liter und ein Stück Briekäse
kommen. Mama Coupeau hatte keinen
Hunger, ihr war die Kehle zu sehr
zugeschnürt, als daß sie essen konnte.
Gervaise, die vor Durst verging, trank große
Gläser Wasser, das nur ganz wenig mit
Rotwein vermischt war.
»Das ist meine Sache«, sagte Coupeau und
ging unverzüglich zum Schanktisch, wo er vier
Francs fünf Sous bezahlte.
Unterdessen war es ein Uhr geworden, die
Gäste trafen ein. Frau Fauconnier, eine üppige,
noch schöne Frau, erschien als erste; sie trug
ein rohseidenes Kleid mit aufgedruckten
Blumen, dazu ein rosa Band um den Hals und
eine blumenüberladene Haube. Darauf kamen
zusammen Fräulein Remanjou, ganz
schmächtig in dem ewigen schwarzen Kleid,
das sie selbst zum Schlafengehen anzubehalten
schien, und das Ehepaar Gaudron, wobei der
Mann, der schwerfällig wie ein Vieh war, bei
der geringsten Bewegung sein braunes Jackett
zum Krachen brachte und die Frau, die einen
ungeheuren Umfang hatte, ihren Bauch, den
Bauch einer schwangeren Frau, zur Schau
stellte, dessen Rundung ihr grellila Rock noch
mehr ausweitete.
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