Der Todschlaeger
Frau Gaudron rief man zu, sie
solle ihres Zustandes wegen mit den ganzen
Sohlen auftreten. Herr Madinier wollte ihnen
die Vergoldungen und Gemälde an der Decke
zeigen; aber dabei verrenkten sie sich den Hals
und konnten nichts erkennen. Dann wies er,
bevor sie den Salon Carré17 betraten, mit einer
Handbewegung auf ein Fenster und sagte: »Da
ist der Balkon, von dem Karl IX.18 auf das
Volk geschossen hat.«
Währenddessen paßte er auf das Ende des
Zuges auf. Mit einer Handbewegung gebot er
in der Mitte des Salon Carré Halt. Hier
befänden sich nur Meisterwerke, murmelte er
halblaut wie in einer Kirche. Man machte
einen Rundgang durch den Salon. Gervaise
fragte, was denn die »Hochzeit zu Kana«19
darstelle; es sei dumm, daß nicht auf den
Rahmen geschrieben stünde, was die Bilder
darstellten. Coupeau blieb vor der »Mona
Lisa«20 stehen, bei der er eine Ähnlichkeit mit
einer Tante von ihm entdeckte. Boche und
RöstfleischBibi feixten, während sie sich
verstohlen die nackten Frauen zeigten.
Besonders die Schenkel der Antiope21 riefen
Ergriffenheit in ihnen hervor. Und ganz am
Ende stand das Ehepaar Gaudron – der Mann
mit offenem Mund, die Frau mit den Händen
auf dem Bauch – baff, gerührt und blöd vor
der Madonna von Murillo.22
Als der Rundgang durch den Salon beendet
war, wollte Herr Madinier noch einmal von
vorn beginnen; das sei die Mühe wert. Er
befaßte sich viel mit Frau Lorilleux wegen
ihres Seidenkleides, und jedesmal wenn sie
ihm Fragen stellte, antwortete er gewichtig
und mit großer Sicherheit. Als sie sich für die
Geliebte des Tizian23 interessierte, deren
gelbes Haar sie ihrem ähnlich fand, gab er sie
ihr als die schöne Ferronnière24 aus, eine
Geliebte Heinrichs IV., über die man im
Théâtre de l'AmbiguComique25 ein Drama
gespielt habe.
Dann stürmte die Hochzeitsgesellschaft in die
lange Galerie, in der sich die italienischen und
flämischen Schulen befinden. Schon wieder
Gemälde, immerzu Gemälde, Heilige, Männer
und Frauen mit Gesichtern, die man nicht
verstand, ganz schwarze Landschaften, gelb
gewordene Tiere, ein wildes Durcheinander
von Menschen und Dingen, deren grelles
Farbengetöse ihnen heftige Kopfschmerzen zu
bereiten begann.
Herr Madinier sprach nicht mehr, führte
langsam den Zug, der ihm geordnet folgte,
wobei sich alle den Hals verrenkten und nach
oben blickten. Jahrhunderte der Kunst zogen
an ihrer verblüfften Unwissenheit vorüber, die
edle Härte der Primitiven, die Pracht der
Venezianer, das üppige und schöne Leben des
Lichts bei den Niederländern. Was sie jedoch
am meisten interessierte, waren immer noch
die ungeniert malenden Kopisten mit ihren
mitten unter den Leuten aufgestellten
Staffeleien. Eine alte Dame, die auf eine große
Leiter gestiegen war und mit einem
Maurerpinsel über den zarten Himmel eines
riesigen Ölgemäldes fuhr, beeindruckte sie
ganz besonders.
Nach und nach jedoch mußte sich wohl das
Gerücht verbreitet haben, daß eine
Hochzeitsgesellschaft den Louvre besichtigte.
Maler eilten herbei mit vor Lachen
aufgerissenem Mund. Neugierige setzten sich
schon vorher auf die Bänke, um dem
Vorbeimarsch bequem beizuwohnen, während
die Wärter mit zusammengekniffenen Lippen
witzige Bemerkungen unterdrückten. Und die
Hochzeitsgesellschaft, die schon müde war
und ihre Ehrfurcht verlor, schlurfte mit ihren
Nagelschuhen dahin, klapperte mit den
Absätzen auf dem widerhallenden Parkett, mit
dem Getrampel einer in heilloses
Durcheinander geratenen Herde, die mitten in
die kahle und andächtige Sauberkeit der Säle
losgelassen war.
Herr Madinier schwieg, um einen Knalleffekt
zu erzielen. Er ging stracks auf die »Kirmes«
von Rubens zu. Dort sagte er immer noch
nichts und begnügte sich damit, mit einem
anzüglichen Blick auf das Gemälde zu deuten.
Als die Damen ihre Nasen dicht auf der
Malerei hatten, stießen sie leise Schreie aus;
dann wandten sie sich hochrot ab. Witze
machend und nach unflätigen Einzelheiten
suchend, hielten die Männer sie zurück.
»Seht doch!« sagte Boche immer wieder, »Das
ist das Geld wert. Da ist einer, der kotzt. Und
der da berieselt die Butterblumen. Und der da,
oh, der da! – Na, die sind ja sauber hier!«
»Gehen wir«, sagte Herr Madinier, entzückt
über seinen Erfolg. »Auf dieser Seite ist nichts
mehr zu sehen.«
Die Hochzeitsgesellschaft kehrte wieder um
und durchquerte abermals den Salon Carré und
die
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