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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Frau Gaudron rief man zu, sie
    solle ihres Zustandes wegen mit den ganzen
    Sohlen auftreten. Herr Madinier wollte ihnen
    die Vergoldungen und Gemälde an der Decke
    zeigen; aber dabei verrenkten sie sich den Hals
    und konnten nichts erkennen. Dann wies er,
    bevor sie den Salon Carré17 betraten, mit einer
    Handbewegung auf ein Fenster und sagte: »Da
    ist der Balkon, von dem Karl IX.18 auf das
    Volk geschossen hat.«
    Währenddessen paßte er auf das Ende des
    Zuges auf. Mit einer Handbewegung gebot er
    in der Mitte des Salon Carré Halt. Hier
    befänden sich nur Meisterwerke, murmelte er
    halblaut wie in einer Kirche. Man machte
    einen Rundgang durch den Salon. Gervaise
    fragte, was denn die »Hochzeit zu Kana«19
    darstelle; es sei dumm, daß nicht auf den
    Rahmen geschrieben stünde, was die Bilder
    darstellten. Coupeau blieb vor der »Mona
    Lisa«20 stehen, bei der er eine Ähnlichkeit mit
    einer Tante von ihm entdeckte. Boche und
    RöstfleischBibi feixten, während sie sich
    verstohlen die nackten Frauen zeigten.
    Besonders die Schenkel der Antiope21 riefen
    Ergriffenheit in ihnen hervor. Und ganz am
    Ende stand das Ehepaar Gaudron – der Mann
    mit offenem Mund, die Frau mit den Händen
    auf dem Bauch – baff, gerührt und blöd vor
    der Madonna von Murillo.22
    Als der Rundgang durch den Salon beendet
    war, wollte Herr Madinier noch einmal von
    vorn beginnen; das sei die Mühe wert. Er
    befaßte sich viel mit Frau Lorilleux wegen
    ihres Seidenkleides, und jedesmal wenn sie
    ihm Fragen stellte, antwortete er gewichtig
    und mit großer Sicherheit. Als sie sich für die
    Geliebte des Tizian23 interessierte, deren
    gelbes Haar sie ihrem ähnlich fand, gab er sie
    ihr als die schöne Ferronnière24 aus, eine
    Geliebte Heinrichs IV., über die man im
    Théâtre de l'AmbiguComique25 ein Drama
    gespielt habe.
    Dann stürmte die Hochzeitsgesellschaft in die
    lange Galerie, in der sich die italienischen und
    flämischen Schulen befinden. Schon wieder
    Gemälde, immerzu Gemälde, Heilige, Männer
    und Frauen mit Gesichtern, die man nicht
    verstand, ganz schwarze Landschaften, gelb
    gewordene Tiere, ein wildes Durcheinander
    von Menschen und Dingen, deren grelles
    Farbengetöse ihnen heftige Kopfschmerzen zu
    bereiten begann.
    Herr Madinier sprach nicht mehr, führte
    langsam den Zug, der ihm geordnet folgte,
    wobei sich alle den Hals verrenkten und nach
    oben blickten. Jahrhunderte der Kunst zogen
    an ihrer verblüfften Unwissenheit vorüber, die
    edle Härte der Primitiven, die Pracht der
    Venezianer, das üppige und schöne Leben des
    Lichts bei den Niederländern. Was sie jedoch
    am meisten interessierte, waren immer noch
    die ungeniert malenden Kopisten mit ihren
    mitten unter den Leuten aufgestellten
    Staffeleien. Eine alte Dame, die auf eine große
    Leiter gestiegen war und mit einem
    Maurerpinsel über den zarten Himmel eines
    riesigen Ölgemäldes fuhr, beeindruckte sie
    ganz besonders.
    Nach und nach jedoch mußte sich wohl das
    Gerücht verbreitet haben, daß eine
    Hochzeitsgesellschaft den Louvre besichtigte.
    Maler eilten herbei mit vor Lachen
    aufgerissenem Mund. Neugierige setzten sich
    schon vorher auf die Bänke, um dem
    Vorbeimarsch bequem beizuwohnen, während
    die Wärter mit zusammengekniffenen Lippen
    witzige Bemerkungen unterdrückten. Und die
    Hochzeitsgesellschaft, die schon müde war
    und ihre Ehrfurcht verlor, schlurfte mit ihren
    Nagelschuhen dahin, klapperte mit den
    Absätzen auf dem widerhallenden Parkett, mit
    dem Getrampel einer in heilloses
    Durcheinander geratenen Herde, die mitten in
    die kahle und andächtige Sauberkeit der Säle
    losgelassen war.
    Herr Madinier schwieg, um einen Knalleffekt
    zu erzielen. Er ging stracks auf die »Kirmes«
    von Rubens zu. Dort sagte er immer noch
    nichts und begnügte sich damit, mit einem
    anzüglichen Blick auf das Gemälde zu deuten.
    Als die Damen ihre Nasen dicht auf der
    Malerei hatten, stießen sie leise Schreie aus;
    dann wandten sie sich hochrot ab. Witze
    machend und nach unflätigen Einzelheiten
    suchend, hielten die Männer sie zurück.
    »Seht doch!« sagte Boche immer wieder, »Das
    ist das Geld wert. Da ist einer, der kotzt. Und
    der da berieselt die Butterblumen. Und der da,
    oh, der da! – Na, die sind ja sauber hier!«
    »Gehen wir«, sagte Herr Madinier, entzückt
    über seinen Erfolg. »Auf dieser Seite ist nichts
    mehr zu sehen.«
    Die Hochzeitsgesellschaft kehrte wieder um
    und durchquerte abermals den Salon Carré und
    die

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