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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Sachen anrühre. Als
    die Concierge am nächsten Tag von einer
    Besorgung zurückkam, traf sie Gervaise dabei
    an, wie sie aufgestanden und angezogen
    ausfegte und sich mit dem Abendessen ihres
    Mannes befaßte. Und auf keinen Fall wollte
    sie sich wieder hinlegen. Man mache sich
    wohl über sie lustig! Für Damen sei es
    angebracht, zerschlagen auszusehen. Wenn
    man nicht reich sei, habe man keine Zeit dazu.
    Drei Tage nach ihrer Niederkunft plättete sie
    Unterröcke bei Frau Fauconnier, tappte mit
    ihrem Bügeleisen auf, in Schweiß geraten
    durch die starke Hitze des Ofens.
    Schon am Samstagabend brachte Frau
    Lorilleux ihre Patengeschenke: eine Haube für
    fünfunddreißig Sous und ein plissiertes, mit
    billiger Spitze besetztes Taufkleid, das sie für
    sechs Francs bekommen hatte, weil es nicht
    mehr ganz neu war. Am nächsten Tag
    schenkte Lorilleux als Pate der Wöchnerin
    sechs Pfund Zucker. Sie machten alles
    anständig. Sogar am Abend zum Festmahl, das
    bei den Coupeaus stattfand, erschienen sie
    nicht mit leeren Händen. Der Mann kam mit
    einem Liter Wein in Originalabfüllung unter
    jedem Arm, während die Frau eine große
    Torte, die sie bei einem in sehr gutem Ruf
    stehenden Konditor in der Chaussée de
    Clignancourt gekauft hatte, in der Hand hielt.
    Allerdings gingen die Lorilleux im ganzen
    Viertel herum und erzählten von ihrer
    Freigebigkeit; fast zwanzig Francs hätten sie
    ausgegeben. Als Gervaise von ihrem
    Geklatsche erfuhr, blieb ihr die Luft weg, und
    sie hielt nichts mehr von ihrem guten
    Benehmen.
    Bei diesem Taufessen schlossen die Coupeaus
    vollends enge Freundschaft mit ihren
    Flurnachbarn. Die andere Wohnung des
    kleinen Hauses hatten zwei Personen inne,
    Mutter und Sohn, die Goujets, wie sie genannt
    wurden. Bis dahin hatte man einander auf der
    Treppe und auf der Straße gegrüßt, nichts
    weiter; die Nachbarn schienen ein bißchen
    eigenbrötlerisch zu sein. Als dann die Mutter
    für Gervaise am Tage nach ihrer Niederkunft
    einen Eimer Wasser heraufgeholt, hatte diese
    es für schicklich gehalten, sie beide zum
    Festmahl einzuladen, zumal sie sie sehr nett
    fand. Und da war man natürlich miteinander
    bekannt geworden.
    Die Goujets stammten aus dem
    Departement36 Nord. Die Mutter besserte
    Spitzen aus, und der Sohn, der Schmied von
    Beruf war, arbeitete in einer Schraubenfabrik.
    Sie hatten seit fünf Jahren die andere
    Wohnung auf dem Treppenflur inne. Hinter
    dem stummen Frieden ihres Lebens verbarg
    sich ein unverminderter alter Gram: Vater
    Goujet hatte an einem Tag wütender
    Trunkenheit in Lille einen Kumpel mit einer
    Eisenstange erschlagen und sich dann im
    Gefängnis mit seinem Taschentuch erdrosselt.
    Die Witwe und das Kind, die nach diesem
    Unglück nach Paris gekommen waren, spürten
    dieses Drama noch immer über ihren
    Häuptern, kauften sich los von ihm durch
    strenge Ehrbarkeit, stets gleichbleibende
    Freundlichkeit und Unverzagtheit. Es mischte
    sich sogar ein wenig Stolz in ihren Fall, denn
    sie hielten sich schließlich für besser als die
    anderen. Frau Goujet, die immer schwarz
    gekleidet war und deren Stirn von einer
    Nonnenhaube umrahmt wurde, hatte ein
    weißes und besonnenes Matronengesicht, als
    hätten ihm die Blässe der Spitzen und die
    peinlich genaue Arbeit ihrer Finger einen
    Abglanz von heiterer Ruhe verliehen. Goujet
    war ein Koloß von dreiundzwanzig Jahren,
    war stattlich, hatte ein rosiges Gesicht, blaue
    Augen und Herkuleskräfte. In der Werkstatt
    nannten ihn die Kumpels seines schönen
    gelben Bartes wegen Goldmaul.
    Gervaise fühlte sofort, daß sie eine große
    Zuneigung zu diesen Leuten erfaßte. Als sie
    das erstemal bei ihnen eindrang, war sie aufs
    höchste erstaunt über die Sauberkeit in der
    Wohnung. Es ließ sich nichts aussetzen, man
    konnte überall hinpusten, es flog nicht ein
    Staubkörnchen auf. Und der Fliesenfußboden
    glänzte, war hell wie ein Spiegel. Frau Goujet
    ließ sie in die Stube ihres Sohnes eintreten,
    damit sie sie sich einmal ansehe. Es war nett
    und blitzblank darin wie in einem
    Jungmädchenzimmer: ein kleines, mit
    Musselinvorhängen versehenes eisernes Bett,
    ein Tisch, eine Waschtoilette und ein an der
    Wand hängendes schmales Bücherbrett;
    außerdem von oben bis unten Bilder,
    ausgeschnittene Männchen, mit vier Nägeln
    befestigte kolorierte Stiche, aus illustrierten
    Zeitschriften herausgetrennte Porträts von
    allen möglichen Persönlichkeiten. Frau Goujet
    sagte mit einem Lächeln, ihr Sohn sei

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