Der Todschlaeger
Sachen anrühre. Als
die Concierge am nächsten Tag von einer
Besorgung zurückkam, traf sie Gervaise dabei
an, wie sie aufgestanden und angezogen
ausfegte und sich mit dem Abendessen ihres
Mannes befaßte. Und auf keinen Fall wollte
sie sich wieder hinlegen. Man mache sich
wohl über sie lustig! Für Damen sei es
angebracht, zerschlagen auszusehen. Wenn
man nicht reich sei, habe man keine Zeit dazu.
Drei Tage nach ihrer Niederkunft plättete sie
Unterröcke bei Frau Fauconnier, tappte mit
ihrem Bügeleisen auf, in Schweiß geraten
durch die starke Hitze des Ofens.
Schon am Samstagabend brachte Frau
Lorilleux ihre Patengeschenke: eine Haube für
fünfunddreißig Sous und ein plissiertes, mit
billiger Spitze besetztes Taufkleid, das sie für
sechs Francs bekommen hatte, weil es nicht
mehr ganz neu war. Am nächsten Tag
schenkte Lorilleux als Pate der Wöchnerin
sechs Pfund Zucker. Sie machten alles
anständig. Sogar am Abend zum Festmahl, das
bei den Coupeaus stattfand, erschienen sie
nicht mit leeren Händen. Der Mann kam mit
einem Liter Wein in Originalabfüllung unter
jedem Arm, während die Frau eine große
Torte, die sie bei einem in sehr gutem Ruf
stehenden Konditor in der Chaussée de
Clignancourt gekauft hatte, in der Hand hielt.
Allerdings gingen die Lorilleux im ganzen
Viertel herum und erzählten von ihrer
Freigebigkeit; fast zwanzig Francs hätten sie
ausgegeben. Als Gervaise von ihrem
Geklatsche erfuhr, blieb ihr die Luft weg, und
sie hielt nichts mehr von ihrem guten
Benehmen.
Bei diesem Taufessen schlossen die Coupeaus
vollends enge Freundschaft mit ihren
Flurnachbarn. Die andere Wohnung des
kleinen Hauses hatten zwei Personen inne,
Mutter und Sohn, die Goujets, wie sie genannt
wurden. Bis dahin hatte man einander auf der
Treppe und auf der Straße gegrüßt, nichts
weiter; die Nachbarn schienen ein bißchen
eigenbrötlerisch zu sein. Als dann die Mutter
für Gervaise am Tage nach ihrer Niederkunft
einen Eimer Wasser heraufgeholt, hatte diese
es für schicklich gehalten, sie beide zum
Festmahl einzuladen, zumal sie sie sehr nett
fand. Und da war man natürlich miteinander
bekannt geworden.
Die Goujets stammten aus dem
Departement36 Nord. Die Mutter besserte
Spitzen aus, und der Sohn, der Schmied von
Beruf war, arbeitete in einer Schraubenfabrik.
Sie hatten seit fünf Jahren die andere
Wohnung auf dem Treppenflur inne. Hinter
dem stummen Frieden ihres Lebens verbarg
sich ein unverminderter alter Gram: Vater
Goujet hatte an einem Tag wütender
Trunkenheit in Lille einen Kumpel mit einer
Eisenstange erschlagen und sich dann im
Gefängnis mit seinem Taschentuch erdrosselt.
Die Witwe und das Kind, die nach diesem
Unglück nach Paris gekommen waren, spürten
dieses Drama noch immer über ihren
Häuptern, kauften sich los von ihm durch
strenge Ehrbarkeit, stets gleichbleibende
Freundlichkeit und Unverzagtheit. Es mischte
sich sogar ein wenig Stolz in ihren Fall, denn
sie hielten sich schließlich für besser als die
anderen. Frau Goujet, die immer schwarz
gekleidet war und deren Stirn von einer
Nonnenhaube umrahmt wurde, hatte ein
weißes und besonnenes Matronengesicht, als
hätten ihm die Blässe der Spitzen und die
peinlich genaue Arbeit ihrer Finger einen
Abglanz von heiterer Ruhe verliehen. Goujet
war ein Koloß von dreiundzwanzig Jahren,
war stattlich, hatte ein rosiges Gesicht, blaue
Augen und Herkuleskräfte. In der Werkstatt
nannten ihn die Kumpels seines schönen
gelben Bartes wegen Goldmaul.
Gervaise fühlte sofort, daß sie eine große
Zuneigung zu diesen Leuten erfaßte. Als sie
das erstemal bei ihnen eindrang, war sie aufs
höchste erstaunt über die Sauberkeit in der
Wohnung. Es ließ sich nichts aussetzen, man
konnte überall hinpusten, es flog nicht ein
Staubkörnchen auf. Und der Fliesenfußboden
glänzte, war hell wie ein Spiegel. Frau Goujet
ließ sie in die Stube ihres Sohnes eintreten,
damit sie sie sich einmal ansehe. Es war nett
und blitzblank darin wie in einem
Jungmädchenzimmer: ein kleines, mit
Musselinvorhängen versehenes eisernes Bett,
ein Tisch, eine Waschtoilette und ein an der
Wand hängendes schmales Bücherbrett;
außerdem von oben bis unten Bilder,
ausgeschnittene Männchen, mit vier Nägeln
befestigte kolorierte Stiche, aus illustrierten
Zeitschriften herausgetrennte Porträts von
allen möglichen Persönlichkeiten. Frau Goujet
sagte mit einem Lächeln, ihr Sohn sei
Weitere Kostenlose Bücher