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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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ein
    großes Kind; das Lesen abends ermüde ihn,
    dann unterhalte er sich damit, seine Bilder zu
    betrachten. Gervaise verweilte sich eine
    Stunde lang bei ihrer Nachbarin, die sich
    wieder an ihren Klöppelsack an ein Fenster
    gesetzt hatte. Sie interessierte sich für die
    Hunderte von Nadeln, die die Spitze
    festhielten, war glücklich, dort zu sein, und
    atmete den guten Sauberkeitsgeruch der
    Wohnung, in die diese feine Arbeit eine
    andächtige Stille brachte.
    Bei näherem Umgang gewannen die Goujets
    noch. Sie machten Überstunden und brachten
    mehr als ein Viertel ihres vierzehntägigen
    Lohnes auf die Sparkasse. Im Viertel grüßte
    man sie und sprach von ihren Ersparnissen.
    Goujet hatte nie ein Loch in seinen Sachen und
    ging mit sauberen Arbeitsjacken ohne jeden
    Fleck aus dem Hause. Er war sehr höflich und
    trotz seiner breiten Schultern sogar ein wenig
    schüchtern. Die Wäscherinnen am Ende der
    Straße belustigte es, wenn sie sahen, wie er
    beim Vorübergehen die Nase senkte. Er liebte
    ihre derben Worte nicht und fand es widerlich,
    daß Frauen unaufhörlich Zoten im Munde
    führten. Eines Tages jedoch kam er
    angetrunken nach Hause. Da hatte ihm Frau
    Goujet ohne jeden anderen Vorwurf ein Bild
    seines Vaters vorgehalten, ein schlechtes
    Gemälde, das ehrfurchtsvoll unten in der
    Kommode versteckt lag. Und seit dieser
    Lektion trank Goujet nur noch so viel, wie ihm
    zuträglich war, ohne jedoch den Wein zu
    hassen, denn der Wein ist unentbehrlich für
    den Arbeiter. Sonntags ging er aus mit seiner
    Mutter, der er den Arm reichte; meistens
    führte er sie in die Gegend von Vincennes,
    manchmal begleitete er sie ins Theater. Seine
    Mutter blieb seine Leidenschaft. Er sprach mit
    ihr noch immer, als sei er ganz klein.
    Mit seinem Quadratschädel, seinem von der
    harten Arbeit mit dem Hammer schwerfällig
    gewordenem Fleisch hatte er etwas von einem
    großen Tier an sich: schwer von Begriff, aber
    trotzdem gutmütig.
    In den ersten Tagen machte ihn Gervaise sehr
    befangen. In einigen Wochen gewöhnte er sich
    dann an sie. Er paßte sie ab, um ihr ihre Pakete
    hinaufzutragen, behandelte sie mit jäher
    Vertraulichkeit wie eine Schwester und schnitt
    speziell für sie Bilder aus. Eines Morgens
    jedoch, als er den Schlüssel, ohne
    anzuklopfen, herumgedreht hatte, überraschte
    er sie dabei, wie sie sich halbnackt den Hals
    wusch; und acht Tage lang sah er ihr nicht ins
    Gesicht, so daß er sie schließlich selber zum
    Erröten brachte.
    Schwarzbeer saftjung mit seiner Pariser
    Schandschnauze fand Goldmaul blöde. Es sei
    ja ganz schön, nicht zu picheln und nicht die
    Dirnen auf der Straße anzuquatschen, aber ein
    Mann müsse doch ein Mann sein, sonst könne
    er ja ebensogut gleich Unterröcke tragen. Er
    zog ihn vor Gervaise auf, indem er ihn
    beschuldigte, er werfe allen Frauen des
    Viertels Blicke zu. Und Goujet, dieser lange
    Kerl, verteidigte sich heftig. Das hinderte die
    beiden Arbeiter nicht, Kumpels zu sein. Sie
    riefen sich morgens, brachen zusammen auf,
    tranken manchmal ein Glas Bier vor dem
    Heimweg. Seit dem Tauf essen duzten sie sich,
    weil das ständige »Sie« die Sätze so lang
    machte. Dabei ließ ihre Freundschaft es
    bewenden, bis Goldmaul Schwarzbeersaftjung
    einen gewaltigen Dienst erwies, einen jener
    hervorragenden Dienste, an tue man sich
    zeitlebens erinnert.
    Es war am 2. Dezember37. Der Bauklempner
    hatte aus Ulk den komischen Einfall gehabt,
    hinunterzugehen und sich den Aufruhr
    anzusehen. Die Republik, Bonaparte und der
    ganze Krempel waren ihm höchst schnuppe;
    aber er schwärmte nun mal für Schießpulver,
    die Gewehrschüsse kamen ihm spaßig vor.
    Und beinahe wäre er hinter einer Barrikade
    geschnappt worden, wenn sich der Schmied
    nicht gerade noch zur rechten Zeit dort
    eingefunden hätte, um ihn mit seinem
    mächtigen Körper zu schützen und ihn beim
    Flitzen zu helfen. Als Goujet wieder die Rue
    du FaubourgPoissonnière hinaufging, schritt er
    schnell aus mit ernstem Gesicht. Er, er
    beschäftigte sich mit Politik, war Republikaner
    aus weiser Überlegung heraus, im Namen der
    Gerechtigkeit und des Wohles aller. Er hatte
    jedoch nicht geschossen. Und er gab seine
    Gründe an: das Volk sei es müde, den
    Bourgeois die Kastanien auch noch zu
    bezahlen, die es für sie aus dem Feuer hole,
    wobei es sich die Pfoten verbrenne; Februar38
    und Juni39 seien ausgezeichnete Lehren
    gewesen; daher würden die Vorstädte von nun
    an auch die Stadt allein fertig werden

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