Der Todschlaeger
lassen,
so gut sie eben konnte. Auf der Höhe der Rue
des Poissonniers angelangt, hatte er dann den
Kopf gewandt und auf Paris herabgeschaut. Da
unten werde doch was Elendiges
zusammengepfuscht, eines Tages könnte es
das Volk bereuen, die Hände in den Schoß
gelegt zu haben. Aber Coupeau feixte und
nannte diejenigen allzu dumme Esel, die ihre
Haut zu Markte trügen, bloß um den
verdammten
Faulenzern
in
der
Abgeordnetenkammer ihre fünfundzwanzig
Francs40 zu erhalten.
Abends luden die Coupeaus die Goujets zum
Essen ein. Beim Nachtisch drückten sich
Schwarzbeersaftjung und Goldmaul je zwei
schallende Küsse auf die Wangen. Nun war es
eine Freundschaft auf Leben und Tod.
Drei Jahre lang floß das Leben der beiden
Familien zu beiden Seiten des Treppenflurs
ohne jedes Ereignis dahin. Gervaise hatte die
Kleine aufgezogen, wobei sie Mittel und Wege
gefunden hatte, höchstens zwei Arbeitstage
wöchentlich einzubüßen. Sie wurde eine gute
Arbeiterin für Feinwäsche, verdiente bis zu
drei Francs. Daher hatte sie sich auch
entschlossen, Etienne, der in sein achtes Jahr
ging, in eine kleine Kostschule in der Rue de
Chartres zu stecken, wo sie hundert Sous
bezahlte. Trotz der Last der beiden Kinder
brachte das Ehepaar jeden Monat zwanzig bis
dreißig Francs auf die Sparkasse. Als ihre
Ersparnisse die Summe von sechshundert
Francs erreichten, konnte die junge Frau nicht
mehr schlafen, weil sie von einem ehrgeizigen
Traum besessen war: sie wollte sich
selbständig machen, einen kleinen Laden
mieten und nun selber Arbeiterinnen
einstellen. Sie hatte alles berechnet. Wenn die
Arbeit gut voranging, konnten sie nach
zwanzig Jahren über Zinsen verfügen, die sie
irgendwo auf dem Lande verzehren würden.
Doch sie wagte sich nicht damit heraus. Sie
sagte, sie suche einen Laden, um sich Zeit zum
Überlegen zu lassen. Das Geld auf der
Sparkasse hatte nichts zu befürchten, im
Gegenteil, es heckte noch. In drei Jahren hatte
sie einen einzigen ihrer Wünsche befriedigt:
sie hatte sich eine Stutzuhr gekauft; dazu
mußte noch diese Stutzuhr, eine Stutzuhr aus
Palisanderholz mit gewundenen Säulen und
einem Perpendikel aus vergoldetem Kupfer, in
einem Jahr abbezahlt werden mit jeden
Montag fälligen Raten von zwanzig Sous.
Wenn Coupeau davon sprach, daß er sie
aufziehen wolle, wurde sie böse; sie allein
nahm die Glasglocke ab, wischte andächtig die
Säulen ab, als habe sich die Marmorplatte ihrer
Kommode in eine Kapelle verwandelt. Unter
der Glocke hatte sie hinter der Uhr das
Sparkassenbuch versteckt. Und oft, wenn sie
von ihrem Laden träumte, vergaß sie dort vor
dem Zifferblatt die Zeit, sah unverwandt zu,
wie sich die Zeiger drehten, und schien auf
irgendeine besondere und feierliche Minute zu
warten, um sich zu entscheiden.
Die Coupeaus gingen fast alle Sonntage mit
den Goujets aus. Das waren nette Ausflüge,
ein gebratener Fisch in SaintOuen oder ein
Kaninchen in Vincennes, die ohne viel
Aufhebens in der Laube eines Gastwirts
verzehrt wurden. Die Männer tranken nur, bis
ihr Durst gelöscht war, und kehrten gesund
und munter heim, wobei sie den Damen den
Arm reichten. Abends vor dem Schlafengehen
rechneten die beiden Familien und teilten die
Ausgaben zur Hälfte auf; und nie erhob sich
wegen eines Sous zuviel oder zuwenig ein
Streit.
Die Lorilleux waren eifersüchtig auf die
Goujets. Das kam ihnen denn doch komisch
vor, daß sie sahen, wie Schwarzbeersaftjung
und Hinkebein ständig mit Fremden
ausgingen, wo sie doch Verwandte hatten. Ja,
wirklich, sie kümmerten sich einen Dreck um
ihre Verwandten! Seitdem sie ein paar Sous
beiseite gelegt hatten, taten sie sich ganz schön
dick. Frau Lorilleux, die sehr ärgerlich darüber
war, daß ihr Bruder ihr entglitt, begann wieder
Beleidigungen gegen Gervaise zu speien. Frau
Lerat dagegen ergriff Partei für die junge Frau,
nahm sie in Schutz, indem sie ungewöhnliche
Geschichten erzählte, Verführungsversuche
abends auf dem Boulevard, aus denen sie sie
als Dramenheldin hervorgehen ließ, die ihren
feigen Angreifern ein paar Ohrfeigen
verabfolgte. Was Mama Coupeau anging, so
trachtete sie alle miteinander auszusöhnen und
sich bei allen ihren Kindern beliebt zu
machen: ihre Sehkraft nahm immer mehr ab,
sie hatte nur noch eine Aufwartestelle, sie war
froh, bei den einen wie den anderen hundert
Sous aufzutreiben.
An demselben Tag, an dem Nana drei Jahre alt
wurde, traf Coupeau,
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