Der Todschlaeger
als er abends heimkam,
Gervaise ganz durcheinander an. Sie weigerte
sich zu sprechen, sie habe gar nichts, sagte sie.
Als sie jedoch den Tisch verkehrt deckte und
mit den Tellern stehenblieb, um in tiefes
Nachdenken zu versinken, wollte ihr Mann
unbedingt wissen, was los sei.
»Also gut«, gestand sie schließlich, »der
Laden des Kleinkrämers in der Rue de la
Goutted'Or, der ist zu vermieten, das ist's ...
Ich habe es vor einer Stunde gesehen, als ich
Garn kaufen gegangen bin. Das hat mir einen
Schlag versetzt.«
Es war ein sehr geeigneter Laden, gerade in
dem großen Haus, in dem zu wohnen sie
früher geträumt hatten. Da war ein Laden
vorhanden, eine Ladenstube mit zwei weiteren
Zimmern rechts und links – kurzum das, was
sie brauchten; die Räume ein bißchen klein,
aber gut verteilt. Nur zu teuer fand sie es, der
Hausbesitzer sprach von fünfhundert Francs.
»Du hast ihn also besichtigt und hast nach dem
Preis gefragt?« sagte Coupeau.
»Ach, weißt du, aus Neugierde«, antwortete
sie und heuchelte eine gleichgültige Miene.
»Man sucht eben, man geht bei allen
Aushängen rein, das verpflichtet zu nichts ...
Aber der da ist entschieden zu teuer.
Außerdem wäre es vielleicht eine Dummheit,
wenn ich mich selbständig machte.«
Nach dem Abendessen kam sie jedoch auf den
Laden des Krämers zurück. Sie zeichnete die
Räumlichkeiten auf den Rand einer Zeitung.
Und nach und nach plauderte sie davon, maß
die Ecken aus, richtete die Zimmer ein, als
müsse sie schon am nächsten Tag ihre Möbel
dort unterbringen. Als Coupeau ihr großes
Verlangen sah, drängte er sie, den Laden zu
mieten; unter fünfhundert Francs würde sie
todsicher nichts Anständiges finden; und
außerdem würde man vielleicht eine
Mietsherabsetzung erreichen. Das einzig
Verdrießliche sei, daß man im Haus der
Lorilleux wohnen werde, die sie nicht leiden
könne. Aber sie wurde böse, sie habe gegen
niemanden etwas. Und im Feuereifer ihres
Verlangens nahm sie die Lorilleux sogar in
Schutz; im Grunde seien sie nicht bösartig,
man würde sich sehr gut vertragen. Und als sie
im Bett lagen und Coupeau bereits schlief,
fuhr sie fort, ihren Laden innen einzurichten,
ohne daß sie jedoch klar und deutlich
eingewilligt hatte, ihn zu mieten.
Als sie am nächsten Tag allein geblieben war,
vermochte sie dem Verlangen nicht zu
widerstehen, die Glasglocke der Uhr
abzunehmen und das Sparkassenbuch zu
betrachten. Wenn man bedachte, daß ihr Laden
da drin war, in diesen mit häßlichen
Buchungen besudelten Blättern! Bevor sie zur
Arbeit ging, fragte sie Frau Goujet um Rat, die
ihren Plan sich selbständig zu machen,
nachdrücklich billigte; mit einem Mann wie
dem ihren, einem guten Menschen, der nicht
trinke, sei sie sicher, es zu etwas zu bringen
und nicht ruiniert zu werden. Zum Mittagessen
ging sie sogar zu den Lorilleux hinauf, um
deren Meinung zu hören. Sie wünschte, daß es
nicht so aussehe, als verhehle sie der Familie
etwas.
Frau Lorilleux war starr. Was, Hinkebein
würde nun bald einen Laden haben! Und
blutenden Herzens stotterte sie und mußte sich
sehr erfreut zeigen: zweifellos sei der Laden
bequem, Gervaise habe recht, ihn zu nehmen.
Aber als sie sich wieder ein wenig gefaßt
hatte, sprachen sie und ihr Mann von der
Feuchtigkeit des Hofes und von dem traurigen
Tageslicht der Räume im Erdgeschoß. Oh, das
sei ein richtiger Winkel für Rheumatismus.
Aber schließlich, wenn sie zu mieten
entschlossen sei, so würden ihre Bedenken sie
ganz bestimmt nicht hindern, den Laden zu
mieten, nicht wahr?
Lachend gestand Gervaise abends offen, daß
sie krank geworden wäre, wenn man sie daran
gehindert hätte, den Laden zu bekommen.
Bevor sie sagte: »Die Sache ist abgemacht!«,
wollte sie allerdings Coupeau mitnehmen,
damit er sich die Räumlichkeiten ansehe und
versuche, eine Herabsetzung der Miete zu
erreichen.
»Also morgen, wenn es dir recht ist«, sagte ihr
Mann, »du holst mich gegen sechs Uhr in der
Rue de la Nation von dem Haus ab, wo ich
arbeite, und wir gehen auf dem Heimweg
durch die Rue de la Goutte d'Or.«
Coupeau vollendete zu der Zeit die
Dacharbeiten an einem neuen dreistöckigen
Haus. An diesem Tage sollte er gerade die
letzten Zinkbleche anbringen. Da das Dach
fast flach war, hatte er seinen Werktisch, ein
breites Brett auf zwei Böcken, dort aufgestellt.
Die Schornsteine vergoldend, ging eine schöne
Maisonne unter. Und hoch oben am
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