Der Todschlaeger
nebenan in der Rue de la
Charbonnière vorbeizugehen. Es brannte ja
wirklich nicht zu Hause. Zweifellos hatte sie
die ganze Nacht damit zu tun. Das sollte sie,
wenn sie heimkam, nicht abhalten, das
Abendessen für Coupeau zurechtzumachen;
danach wollte sie zusehen, daß sie sich einen
Augenblick aufs Bett werfen konnte, ohne sich
erst auszuziehen. Auf der Treppe überkam sie
ein so heftiger Anfall, daß sie sich mitten auf
die Stufen setzen mußte; und sie preßte beide
Fäuste auf den Mund, um nicht zu schreien,
weil sie sich schämte, hier von Männern
entdeckt zu werden, falls welche die Treppe
heraufkämen. Der Schmerz ging vorüber,
erleichtert, weil sie entschieden annahm, sich
getäuscht zu haben, konnte sie die Tür öffnen.
Sie machte an diesem Abend Hammelragout
vom Bug. Während sie die Kartoffeln schälte,
ging noch alles gut. Die Bugstücken
schmorten in einer Kasserolle, als die
Schweißausbrüche und die Leibschmerzen
wiederkamen. Sie rührte die Mehlschwitze und
trat dabei, von großen Tränen am Sehen
gehindert, vor dem Herd von einem Fuß auf
den anderen. Wenn sie niederkam, so war das
doch kein Grund, Coupeau ohne Essen zu
lassen, nicht wahr? Schließlich schmurgelte
das Ragout auf mit Asche abgedecktem Feuer.
Sie ging in die Stube zurück und glaubte, sie
hätte noch Zeit, an einem Ende des Tisches für
ihn zu decken. Und sie mußte den Liter Wein
ganz schnell wieder hinstellen, sie hatte nicht
mehr die Kraft, das Bett zu erreichen, sie fiel
hin und kam auf einer Strohmatte auf der Erde
nieder. Dort wurde sie entbunden, als die
Hebamme eine Viertelstunde später eintraf.
Der Bauklempner arbeitete immer noch im
Hospital. Gervaise verbot, daß man hinging
und ihn störte. Als er um sieben Uhr heimkam,
fand er sie im Bett liegend, gut zugedeckt,
ganz blaß auf dem Kopfkissen. Das in einen
Schal gewickelte Kind weinte zu Füßen der
Mutter.
»Ach, mein armes Frauchen!« sagte Coupeau
und küßte Gervaise. »Und ich bin vor kaum
einer Stunde lustig gewesen, während du wie
am Spieß geschrieen hast! – Hör mal, du läßt
dich nicht aus der Ruhe bringen, du machst
einem das in derselben Zeit ab, die man zum
Niesen braucht.«
Sie lächelte schwach; dann flüsterte sie:
»Es ist ein Mädchen.«
»Richtig!« erwiderte der Bauklempner
scherzend, um sie aufzumuntern. »Ich hatte ja
ein Mädchen bestellt! Na, da bin ich ja
bedient! Du machst wohl alles, was ich will?«
Und das Kind nehmend, fuhr er fort: »Lassen
Sie sich mal ein bißchen ansehen, Fräulein
Dreckspatz! – Sie haben ja eine ganz schwarze
kleine Fratze. Die wird noch weiß, bloß keine
Angst. Artig muß man sein, kein Nuttchen
abgeben, anständig heranwachsen wie Papa
und Mama.«
Sehr ernst, mit weit offenen Augen, die
langsam von Traurigkeit umdüstert wurden,
betrachtete Gervaise ihre Tochter. Sie
schüttelte den Kopf; sie hätte gern einen
Jungen gehabt, weil Jungen immer
durchkommen und in diesem Paris nicht so
vielen Gefahren ausgesetzt sind.
Die Hebamme mußte Coupeau den
pausbäckigen Säugling aus den Händen
nehmen. Obendrein verbot sie Gervaise das
Sprechen; es sei schon schlimm genug, daß
man soviel Lärm um sie herum vollführe.
Da meinte der Bauklempner, man müsse
Mama Coupeau und die Lorilleux
benachrichtigen; aber er krepiere vor Hunger
und wolle vorher Abendbrot essen.
Es bereitete der Wöchnerin großen Verdruß,
mit anzusehen, wie er sich selbst bediente, wie
er in die Küche lief, um das Ragout zu holen,
von einem tiefen Teller aß, das Brot nicht
fand. Trotz des Verbotes jammerte sie, drehte
sich in den Bettüchern hin und her. Es sei aber
auch zu dumm, daß sie den Tisch nicht habe
decken können, das Leibschneiden habe sie
wie ein Hieb mit dem Stock zu Boden
geworfen. Ihr armer Mann werde es ihr
übelnehmen, daß sie hier liege und sich
verhätscheln lasse, während er so schlecht
esse. Seien die Kartoffeln wenigstens richtig
gar? Sie erinnere sich nicht mehr, ob sie Salz
daran getan habe.
»Seien Sie doch still!« rief die Hebamme.
»Ach, wenn Sie sie doch bloß daran hindern
könnten, daß sie ihre Gesundheit untergräbt!«
sagte Coupeau mit vollem Mund. »Ich wette,
wenn Sie nicht da wären, würde sie aufstehen,
um mir das Brot zu schneiden ... Bleib doch
auf dem Rücken liegen, du dumme Pute! Du
sollst dich nicht zugrunde richten, sonst hast
du vierzehn Tage lang zu tun, um wieder auf
die Beine zu kommen ...
Weitere Kostenlose Bücher