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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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nebenan in der Rue de la
    Charbonnière vorbeizugehen. Es brannte ja
    wirklich nicht zu Hause. Zweifellos hatte sie
    die ganze Nacht damit zu tun. Das sollte sie,
    wenn sie heimkam, nicht abhalten, das
    Abendessen für Coupeau zurechtzumachen;
    danach wollte sie zusehen, daß sie sich einen
    Augenblick aufs Bett werfen konnte, ohne sich
    erst auszuziehen. Auf der Treppe überkam sie
    ein so heftiger Anfall, daß sie sich mitten auf
    die Stufen setzen mußte; und sie preßte beide
    Fäuste auf den Mund, um nicht zu schreien,
    weil sie sich schämte, hier von Männern
    entdeckt zu werden, falls welche die Treppe
    heraufkämen. Der Schmerz ging vorüber,
    erleichtert, weil sie entschieden annahm, sich
    getäuscht zu haben, konnte sie die Tür öffnen.
    Sie machte an diesem Abend Hammelragout
    vom Bug. Während sie die Kartoffeln schälte,
    ging noch alles gut. Die Bugstücken
    schmorten in einer Kasserolle, als die
    Schweißausbrüche und die Leibschmerzen
    wiederkamen. Sie rührte die Mehlschwitze und
    trat dabei, von großen Tränen am Sehen
    gehindert, vor dem Herd von einem Fuß auf
    den anderen. Wenn sie niederkam, so war das
    doch kein Grund, Coupeau ohne Essen zu
    lassen, nicht wahr? Schließlich schmurgelte
    das Ragout auf mit Asche abgedecktem Feuer.
    Sie ging in die Stube zurück und glaubte, sie
    hätte noch Zeit, an einem Ende des Tisches für
    ihn zu decken. Und sie mußte den Liter Wein
    ganz schnell wieder hinstellen, sie hatte nicht
    mehr die Kraft, das Bett zu erreichen, sie fiel
    hin und kam auf einer Strohmatte auf der Erde
    nieder. Dort wurde sie entbunden, als die
    Hebamme eine Viertelstunde später eintraf.
    Der Bauklempner arbeitete immer noch im
    Hospital. Gervaise verbot, daß man hinging
    und ihn störte. Als er um sieben Uhr heimkam,
    fand er sie im Bett liegend, gut zugedeckt,
    ganz blaß auf dem Kopfkissen. Das in einen
    Schal gewickelte Kind weinte zu Füßen der
    Mutter.
    »Ach, mein armes Frauchen!« sagte Coupeau
    und küßte Gervaise. »Und ich bin vor kaum
    einer Stunde lustig gewesen, während du wie
    am Spieß geschrieen hast! – Hör mal, du läßt
    dich nicht aus der Ruhe bringen, du machst
    einem das in derselben Zeit ab, die man zum
    Niesen braucht.«
    Sie lächelte schwach; dann flüsterte sie:
    »Es ist ein Mädchen.«
    »Richtig!« erwiderte der Bauklempner
    scherzend, um sie aufzumuntern. »Ich hatte ja
    ein Mädchen bestellt! Na, da bin ich ja
    bedient! Du machst wohl alles, was ich will?«
    Und das Kind nehmend, fuhr er fort: »Lassen
    Sie sich mal ein bißchen ansehen, Fräulein
    Dreckspatz! – Sie haben ja eine ganz schwarze
    kleine Fratze. Die wird noch weiß, bloß keine
    Angst. Artig muß man sein, kein Nuttchen
    abgeben, anständig heranwachsen wie Papa
    und Mama.«
    Sehr ernst, mit weit offenen Augen, die
    langsam von Traurigkeit umdüstert wurden,
    betrachtete Gervaise ihre Tochter. Sie
    schüttelte den Kopf; sie hätte gern einen
    Jungen gehabt, weil Jungen immer
    durchkommen und in diesem Paris nicht so
    vielen Gefahren ausgesetzt sind.
    Die Hebamme mußte Coupeau den
    pausbäckigen Säugling aus den Händen
    nehmen. Obendrein verbot sie Gervaise das
    Sprechen; es sei schon schlimm genug, daß
    man soviel Lärm um sie herum vollführe.
    Da meinte der Bauklempner, man müsse
    Mama Coupeau und die Lorilleux
    benachrichtigen; aber er krepiere vor Hunger
    und wolle vorher Abendbrot essen.
    Es bereitete der Wöchnerin großen Verdruß,
    mit anzusehen, wie er sich selbst bediente, wie
    er in die Küche lief, um das Ragout zu holen,
    von einem tiefen Teller aß, das Brot nicht
    fand. Trotz des Verbotes jammerte sie, drehte
    sich in den Bettüchern hin und her. Es sei aber
    auch zu dumm, daß sie den Tisch nicht habe
    decken können, das Leibschneiden habe sie
    wie ein Hieb mit dem Stock zu Boden
    geworfen. Ihr armer Mann werde es ihr
    übelnehmen, daß sie hier liege und sich
    verhätscheln lasse, während er so schlecht
    esse. Seien die Kartoffeln wenigstens richtig
    gar? Sie erinnere sich nicht mehr, ob sie Salz
    daran getan habe.
    »Seien Sie doch still!« rief die Hebamme.
    »Ach, wenn Sie sie doch bloß daran hindern
    könnten, daß sie ihre Gesundheit untergräbt!«
    sagte Coupeau mit vollem Mund. »Ich wette,
    wenn Sie nicht da wären, würde sie aufstehen,
    um mir das Brot zu schneiden ... Bleib doch
    auf dem Rücken liegen, du dumme Pute! Du
    sollst dich nicht zugrunde richten, sonst hast
    du vierzehn Tage lang zu tun, um wieder auf
    die Beine zu kommen ...

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