Der Todschlaeger
dem
leichenblassen Gesicht tintenschwarz
geworden. In diesem kleinen Mann entfachte
die Wut ein Ungewitter.
»Ja, ja, mit dem ganzen Restaurant!«
wiederholte die junge Frau. »Madame Boche
wird ihnen kündigen, ihr und dieser langen
Latte, ihrer Schwester, weil immer Männer auf
der Treppe Schlange stehen.«
Lantier hob beide Fäuste. Dann widerstand er
dem Verlangen, sie zu schlagen, packte sie an
den Armen, schüttelte sie heftig und schmiß
sie auf das Bett der Kinder, die von neuem zu
schreien anfingen. Und er legte sich wieder hin
und stammelte mit dem wilden
Gesichtsausdruck eines Mannes, der einen
Entschluß faßt, vor dem er noch zögert:
»Du weißt nicht, was du eben angerichtet hast,
Gervaise ... Du hast unrecht gehabt, du wirst
sehen.«
Einen Augenblick lang schluchzten die
Kinder. Ihre Mutter, die gebeugt auf dem
Bettrand sitzengeblieben war, hielt sie in einer
einzigen Umarmung umschlungen und
wiederholte an zwanzigmal mit monotoner
Stimme den Satz:
»Ach, wenn ihr nicht da wärt, meine armen
Kleinen! – Wenn ihr nicht da wärt! – Wenn ihr
nicht da wärt!«
Ruhig ausgestreckt, zu dem verschossenen
bemalten Leinwandfetzen über ihm
hochblickend, hörte Lantier nicht mehr hin
und vertiefte sich in eine fixe Idee. So
verharrte er trotz der Müdigkeit, die seine
Lider schwer machte, ungefähr eine Stunde,
ohne dem Schlaf nachzugeben. Als er sich mit
hartem und entschlossenem Gesicht umdrehte
und sich dabei mit dem Ellbogen aufstützte,
räumte Gervaise gerade das Zimmer fertig auf.
Sie machte das Bett der Kinder, die sie eben
herausgenommen und angezogen hatte. Er sah
zu, wie sie flüchtig ausfegte und die Möbel
abwischte. Das Zimmer blieb finster,
jämmerlich mit seiner verräucherten Decke,
seiner durch die Feuchtigkeit abgegangenen
Tapete, seinen drei wackligen Stühlen und
seiner wackligen Kommode, auf der der Dreck
hartnäckig liegenblieb und mit dem
Wischlappen ausgebreitet wurde.
Während sie sich dann gründlich wusch,
nachdem sie sich ihr Haar vor dem am
Fensterriegel hängenden kleinen, runden
Spiegel, den er zum Rasieren brauchte,
aufgesteckt hatte, schien er ihre nackten Arme,
ihren nackten Hals und alles Nackte, was sie
zeigte, zu mustern, als stelle er in Gedanken
Vergleiche an. Und er verzog die Lippen.
Gervaise hinkte auf dem rechten Bein, aber
man bemerkte es fast nur, wenn sie sich an den
Tagen, da sie erschöpft war, mit zerschlagenen
Hüften gehenließ. An diesem Morgen zog sie,
durch die Nacht wie gerädert, das Bein nach
und stützte sich an den Wänden.
Es herrschte Schweigen, sie hatten kein Wort
mehr gewechselt. Er schien zu warten. Sie fraß
ihren Schmerz in sich hinein, bemühte sich,
ein gleichgültiges Gesicht zu machen, und
beeilte sich. Als sie aus der in eine Ecke hinter
den Koffer geworfenen schmutzigen Wäsche
ein Bündel machte, öffnete er endlich die
Lippen und fragte:
»Was machst du denn? – Wo gehst du hin?«
Sie antwortete zunächst nicht. Als er seine
Frage dann wütend wiederholte, entschloß sie
sich dazu.
»Das siehst du doch ... Ich will das alles
waschen ... Die Kinder können ja nicht im
Dreck leben.«
Er ließ sie zwei oder drei Taschentücher
aufheben. Und nach einem erneuten
Schweigen fuhr er fort:
»Hast du denn Geld?«
Sofort richtete sie sich wieder auf, sah ihm ins
Gesicht, ohne die schmutzigen Hemden der
Kleinen loszulassen, die sie in der Hand hielt.
»Geld? Wo soll ich es denn gestohlen haben?
– Du weißt genau, daß ich vorgestern drei
Francs für meinen schwarzen Rock gekriegt
habe. Davon haben wir zweimal Mittag
gegessen, und da ist man schnell mit am Ende
beim Fleischer ... Nein, ich habe allerdings
kein Geld. Ich habe vier Sous für das
Waschhaus ... Ich verdiene ja keins wie
gewisse Frauen.« Er kehrte sich nicht an diese
Anspielung. Er war aus dem Bett gestiegen
und musterte die wenigen rings im Zimmer
herumhängenden Lumpen. Schließlich nahm
er die Hose und den Schal von der Lehne,
öffnete die Kommode und legte ein
Unterhemd und zwei Frauenhemden zu dem
Bündel hinzu; dann warf er das Ganze
Gervaise auf den Arm:
»Da, bring das zur Pfandleihe.«
»Soll ich nicht auch die Kinder hinbringen?«
fragte sie. »Wenn man die Kinder versetzen
könnte, so wäre das ja ein famoser Ausweg,
was?«
Trotzdem ging sie zum Leihhaus. Als sie nach
einer halben Stunde zurückkam, legte sie ein
Fünffrancsstück auf den Kamin und fügte
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