Der Todschlaeger
den
Pfandschein zu den anderen zwischen den
beiden Leuchtern hinzu.
»Das haben sie mir gegeben«, sagte sie. »Ich
wollte sechs Francs haben, aber es war nichts
zu machen. Oh, die werden sich ja nicht
ruinieren ... Und eine Menge Menschen sind
da drin immer anzutreffen!«
Lantier nahm das Fünffrancsstück nicht gleich.
Er wünschte, sie hätte es in Kleingeld
eingewechselt, damit er ihr etwas dalassen
könnte. Doch er entschloß sich, es in seine
Westentasche gleiten zu lassen, als er einen
Rest Schinken in Papier und einen Kanten
Brot auf der Kommode sah.
»Ich bin gar nicht zur Milchfrau gegangen,
weil wir ihr für acht Tage Geld schulden«,
erklärte Gervaise. »Aber ich komme zeitig
zurück; du kannst hinuntergehen und Brot und
panierte Koteletts holen, während ich weg bin,
und dann essen wir Mittag ... Bring auch einen
Liter Wein mit herauf.«
Er sagte nicht nein. Es schien Frieden
einzutreten.
Die junge Frau bündelte die schmutzige
Wäsche fertig. Als sie jedoch Lantiers
Hemden und Sachen unten aus dem Koffer
nehmen wollte, schrie er sie an, sie solle das
sein lassen.
»Laß meine Wüsche, hörst du! Ich will das
nicht!«
»Was willst du nicht?« fragte sie und richtete
sich wieder auf. »Du hast doch nicht etwa die
Absicht, dieses verschimmelte Zeug noch mal
anzuziehen? Das muß doch gewaschen
werden.« Und sie musterte ihn besorgt, da sie
auf seinem hübschen Burschengesicht dieselbe
Härte wiederfand, als solle ihn in Zukunft
nichts mehr erweichen.
Er wurde ärgerlich, riß ihr die Wäsche aus den
Händen und warf sie wieder in den Koffer.
»Himmeldonnerwetter! Gehorch mir doch
einmal! Wenn ich dir schon sage, daß ich nicht
will!«
»Aber warum?« erwiderte sie, blaß werdend,
von einem schrecklichen Verdacht gestreift.
»Du brauchst deine Hemden jetzt nicht, du
gehst ja nicht gleich weg ... Was kann es dir
schon ausmachen, wenn ich sie mitnehme?«
Er zögerte einen Augenblick, von den
glühenden Augen, mit denen sie ihn anstarrte,
in Verlegenheit gebracht.
»Warum? Warum?« stotterte er. »Verdammt!
Du wirst überall sagen, daß du mich aushältst,
daß du wäschst, daß du flickst. Na, das ödet
mich eben an! Kümmere dich um deine
Angelegenheiten, und ich kümmere mich um
meine ... Die Waschfrauen arbeiten ja nicht für
die Hunde.«
Sie beschwor ihn, verwahrte sich dagegen,
sich jemals beklagt zu haben, aber er schloß
rücksichtslos den Koffer, setzte sich darauf
und schrie ihr: »Nein!« ins Gesicht. Er sei ja
wohl Herr über das, was ihm gehöre! Um den
Blicken zu entgehen, mit denen sie ihn
verfolgte, drehte er sich dann um, streckte sich
auf dem Bett aus und sagte, er sei müde und
sie solle ihm nicht länger die Ohren voll
schreien. Diesmal schien er tatsächlich
einzuschlafen.
Gervaise verweilte einen Augenblick
unentschlossen. Sie hatte große Lust, das
Bündel mit dem Fuß wegzustoßen, sich hier
hinzusetzen und zu nähen. Lantiers
regelmäßiges Atmen beruhigte sie schließlich.
Sie nahm die Kugel Waschblau und das Stück
Seife, was ihr von ihrer letzten Wäsche
übriggeblieben war, trat zu den Kleinen, die
vor dem Fenster seelenruhig mit alten Korken
spielten, küßte sie und sagte leise zu ihnen:
»Seid schön artig, macht keinen Lärm. Papa
schlaft.« Als sie das Zimmer verließ, klang nur
Claudes und Etiennes gedämpftes Gelächter in
der großen Stille unter der schwarzen Decke.
Es war zehn Uhr. Ein Sonnenstrahl kam durch
das halboffene Fenster herein.
Auf dem Boulevard wandte sich Gervaise nach
links und ging die Rue Neuve de la Goutted'Or
entlang. Als sie an Frau Fauconniers Laden
vorbeikam, grüßte sie mit einem leichten
Kopfnicken.
Das Waschhaus lag nach der Mitte der Straße
zu, an der Stelle, wo das Pflaster anzusteigen
begann. Über einem flachen Gebäude zeigten
drei riesige Wasserbehälter, stark verbolzte
Zinkzylinder, ihre grauen Rundungen,
während sich hinten der Trockenboden erhob,
ein sehr hohes zweites Stockwerk, das von
allen Seiten von Fensterläden mit dünnen
Brettchen abgeschlossen wurde, zwischen
denen die frische Luft hindurchdrang und die
auf
Messingdrähten
trocknenden
Wäschestücke zu sehen waren. Rechts von den
Behältern fauchte das schmale Rohr der
Dampfmaschine mit heftigem, regelmäßigem
Atem Strahlen weißen Dampfes.
Ohne ihre Röcke hochzuraffen, ging Gervaise
als eine an Pfützen gewöhnte Frau durch das
mit Krügen voll Bleichlauge
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