Der Todschlaeger
klaren
Himmel schnitt der Arbeiter, über den
Werktisch gebeugt wie ein Schneider, der zu
Hause ein paar Hosen zuschneidet, mit der
Blechschere gelassen sein Zink zurecht. An
der Mauer des Nachbarhauses unterhielt sein
Gehilfe, ein schmächtiger und blonder
Schlingel von siebzehn Jahren, das Feuer des
Kohlenbeckens, indem er einen riesigen
Blasebalg handhabte, der bei jedem
Atemhauch ein Funkensprühen aufstieben ließ.
»He, Zidore! Leg die Kolben rein!« schrie
Coupeau.
Der Gehilfe steckte die Lötkolben tief in die
Kohlenglut, die im hellen Tageslicht blaßrosa
aussah. Dann setzte er den Blasebalg wieder in
Tätigkeit. Coupeau hielt das letzte Zinkblech
in der Hand. Es war noch am Rande des
Daches neben der Regenrinne anzubringen.
Dort war das Dach sehr abschüssig, und das
gähnende Loch der Straße höhlte sich aus. Wie
zu Hause ging der Bauklempner in
Filzschuhen aus Tuchstreifen schlurfend nach
vorn und pfiff dabei das Liedchen »He, ihr
kleinen Lämmchen!« vor sich hin. Vor dem
Loch angekommen, ließ er sich hinabgleiten,
stemmte sich mit einem Knie gegen das
Mauerwerk eines Schornsteins, verharrte auf
halbem Wege zum Pflaster. Eins seiner Beine
baumelte herab. Als er sich zurückbeugte, um
Zidore, diesen Hänfling, zu rufen, hielt er sich
wegen des Bürgersteigs da unter ihm an einer
Ecke des Mauerwerks fest.
»Verdammter Trödler, mach schon! – Gib
doch die Kolben her! Wenn du auch in die
Luft guckst, du langer Lümmel, dir fliegen
keine gebratenen Tauben ins Maul!«
Aber Zidore beeilte sich nicht. Er interessierte
sich für die Nachbardächer, für eine dicke
Rauchwolke, die im Hintergrund von Paris in
der Gegend von Grenelle aufstieg; das konnte
ja ein Brand sein. Er legte sich jedoch platt auf
den Bauch, hielt den Kopf über das Loch, und
er reichte Coupeau die Kolben. Alsdann
begann dieser das Blech zu löten. Er kauerte
sich hin, machte sich lang und hielt, auf einer
Hinterbacke sitzend, auf einer Zehenspitze
hockend, sich mit einem Finger festhaltend,
immer sein Gleichgewicht. Er verfügte über
einen verfluchten Schneid, eine höllische,
vertraute, der Gefahr trotzende Dreistigkeit.
Darin kannte er sich aus. Die Straße, die hatte
Angst vor ihm. Da er nicht von seiner Pfeife
abließ, drehte er sich von Zeit zu Zeit um und
spuckte seelenruhig auf die Straße.
»Aha, Madame Boche!« rief er auf einmal.
»He, Madame Boche!«
Soeben hatte er die Concierge erblickt, als sie
den Fahrdamm überquerte. Sie hob den Kopf,
erkannte ihn. Und es entspann sich ein
Gespräch vom Dach zum Bürgersteig. Sie
verbarg die Hände unter ihrer Schürze, hielt
die Nase in die Luft. Er, der nun aufrecht
dastand, seinen linken Arm um ein
Schornsteinrohr gelegt hatte, beugte sich vor.
»Haben Sie meine Frau nicht gesehen?« fragte
er.
»Nein, bestimmt nicht«, antwortete die
Concierge. »Ist sie hier in der Nähe?«
»Sie soll mich abholen ... Und bei Ihnen zu
Hause ist alle? wohlauf?«
»O ja, danke. Ich bin die Kränkste, wissen
Sie ... Ich gehe in die Chaussée de
Clignancourt eine kleine Hammelkeule holen.
Der Schlächter neben der MoulinRouge41
verkauft sie für nur sechzehn Sous.«
Sie schrien lauter, weil ein Wagen durch die
breite, menschenleere Rue de la Nation fuhr.
Ihre mit voller Kraft hingeschleuderten Worte
hatten eine kleine Alte veranlaßt, sich an ihr
Fenster zu stellen; und diese Alte verharrte
dort mit aufgestützten Ellbogen und
verschaffte sich die Zerstreuung einer heftigen
Aufregung, indem sie diesem Manne auf dem
gegenüberliegenden Dach zuschaute, als hoffe
sie, ihn jeden Augenblick abstürzen zu sehen.
»Na, dann guten Abend!« rief Frau Boche
noch. »Ich will Sie nicht stören.«
Coupeau drehte sich um, ergriff wieder den
Kolben, den Zidore ihm hinhielt. Aber in dem
Augenblick, da sich die Concierge entfernte,
erblickte sie auf dem anderen Bürgersteig
Gervaise, die Nana an der Hand hielt. Sie hob
schon wieder den Kopf, um den Bauklempner
davon zu unterrichten, als ihr die junge Frau
mit einer energischen Handbewegung den
Mund verschloß.
Und mit halber Stimme, damit sie dort oben
nicht zu hören war, teilte sie ihre Besorgnis
mit: sie fürchte, wenn sie sich so plötzlich
zeige, ihrem Mann einen Stoß zu versetzen,
der ihn hinunterstürzen könnte. In vier Jahren
hätte sie ihn nur ein einziges Mal von seiner
Arbeit abgeholt. Am heutigen Tage sei es das
zweitemal, Sie könne das nicht mit
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