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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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ansehen,
    das Blut erstarre ihr in den Adern, wenn sie
    ihren Mann zwischen Himmel und Erde an
    Stellen sähe, wo sich selbst die Spatzen nicht
    hinwagten.
    »Freilich, angenehm ist das nicht«, murmelte
    Frau Boche. »Meiner ist Schneider, da brauche
    ich nicht zu zittern.«
    »Wenn Sie wüßten! In der ersten Zeit habe ich
    von morgens bis abends in Angst und
    Schrecken gelebt«, sagte Gervaise noch. »Ich
    sah ihn immer mit zerschmettertem Kopf auf
    einer Tragbahre ... Nun denke ich nicht mehr
    so viel daran. Man gewöhnt sich an alles. Das
    Brot muß ja verdient werden ... Trotzdem, es
    ist ein ganz schön teures Brot, denn dabei
    riskiert man seine Knochen öfter, als man
    eigentlich an der Reihe ist.« Sie schwieg und
    verbarg Nana in ihrem Rock, weil sie einen
    Schrei der Kleinen befürchtete. Ganz blaß
    geworden, schaute sie unwillkürlich hin.
    Coupeau lötete gerade an der Dachrinne den
    äußersten Rand des Bleches. Er glitt soweit
    wie möglich vor, konnte aber das Ende nicht
    erreichen. Da wagte er sich mit jenen
    langsamen Bewegungen vor, die Arbeiter an
    sich haben und die voller Leichtigkeit und
    Schwerfälligkeit sind. Einen Augenblick war
    er, ohne sich erst festzuhalten, hoch über dem
    Pflaster seelenruhig bei seiner Arbeit. Und von
    unten sah man unter dem von sorgfältiger
    Hand hin und her bewegten Kolben die kleine
    weiße Flamme an der Lötstelle sprühen.
    Stumm, die Kehle vor Angst zugeschnürt,
    preßte Gervaise die Hände zusammen und hob
    sie mit einer mechanischen flehenden Gebärde
    hoch. Aber sie atmete geräuschvoll auf. Eben
    war Coupeau, ohne sich zu beeilen, wieder
    aufs Dach zurückgestiegen und nahm sich
    dabei die Zeit, ein letztes Mal auf die Straße zu
    spucken.
    »Es wird also rumspioniert!« rief er fröhlich,
    als er sie erblickte. »Sie hat sich dumm gehabt,
    nicht wahr, Madame Boche? Sie hat nicht
    rufen wollen. Warte auf mich, ich habe noch
    zehn Minuten zu tun.« Er hatte noch einen
    Schornsteinaufsatz anzubringen, eine ganz
    unbedeutende Kleinigkeit. Die Wäscherin und
    die Concierge blieben auf dem Bürgersteig
    stehen, unterhielten sich über die
    Nachbarschaft und paßten auf Nana auf, um
    sie daran zu hindern, im Rinnstein
    herumzuplantschen, wo sie Fischchen suchte.
    Und immer wieder blickten die beiden Frauen
    zum Dach hoch, wobei sie lächelten und den
    Kopf schüttelten, um gleichsam anzudeuten,
    daß sie nicht ungeduldig wurden. Die Alte
    gegenüber war nicht von ihrem Fenster
    weggetreten, schaute dem Manne zu, wartete
    ab.
    »Was hat diese Zicke denn da
    auszuspionieren?« sagte Frau Boche. »Eine
    elende Visage!«
    Oben hörte man die kräftige Stimme des
    Bauklempners singen: »Oh, Erdbeernpflücken
    ist so schön ...« Nun schnitt er, über seinen
    Werktisch gebeugt, kunstgerecht sein Zink.
    Mit einer Zirkelumdrehung hatte er einen
    Strich gezogen, und mit Hilfe einer krummen
    Blechschere schnitt er einen breiten Fächer
    aus. Dann bog er diesen Fächer mit leichten
    Hammerschlägen in die Form eines spitzen
    Pilzes. Zidore hatte sich wieder darangemacht,
    die Glut im Kohlenbecken mit dem Blasebalg
    anzufachen. Hinter dem Haus ging die Sonne
    in einem großen rosenroten Schein unter, der
    langsam verblaßte und in Zartlila umschlug.
    Und mitten am Himmel hoben sich zu dieser
    andachtsvollen Tagesstunde die übermäßig
    vergrößerten Silhouetten der beiden Arbeiter
    mit dem dunklen Querstrich des Werktisches
    und dem seltsamen Umriß des Blasebalgs
    gegen den durchsichtigen Hintergrund der Luft
    ab.
    Als der Aufsatz zurechtgeschnitten war, stieß
    Coupeau seinen Ruf aus:
    »Zidore, die Kolben!«
    Aber Zidore war gerade verschwunden.
    Fluchend suchte ihn der Bauklempner mit dem
    Blick, rief ihn durch die offenstehende
    Bodenluke. Schließlich entdeckte er ihn auf
    einem Nachbardach, zwei Häuser weiter weg.
    Der Schlingel ging spazieren, kundschaftete
    die Umgebung aus, wobei sein dünnes blondes
    Haar in der freien Luft flatterte und seine
    Augen angesichts der unermeßlichen Weite
    von Paris blinzelten.
    »Na, so eine Bummelei! Du glaubst wohl, du
    bist auf dem Lande!« sagte Coupeau wütend.
    »Du bist wie Herr Beranger, du machst wohl
    gar Verse! – Willst du mir wohl die Kolben
    geben! Hat man je so was gesehen. Auf den
    Dächern herumzuschlendern! Bring doch
    gleich deine Bekannte mit, damit du mit ihr
    techtelmechteln kannst ... Willst du mir die
    Kolben geben, du verdammter Waschlappen!«
    Er lötete, er rief Gervaise zu: »So, es ist
    fertig

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