Der Todschlaeger
der
Rue de la Goutted'Or. Wie sich das doch traf!
Zu den Widerwärtigkeiten für Gervaise, die in
ihrem Loch in der Rue Neuve de la Goutted'Or
ohne Concierge so ruhig gelebt hatte, gehörte
es, wieder unter das Joch irgendeiner bösen
Bestie zu geraten, mit der man sich wegen
etwas verschüttetem Wasser oder wegen der
abends zu laut geschlossenen Tür
herumstreiten müßte. Concierges sind ein so
widerwärtiges Gelichter! Aber mit den Boches
würde es ein Vergnügen sein. Man kannte
sich, man würde sich stets verstehen. Kurzum,
es würde wie im Familienkreis zugehen.
An dem Tag, da die Coupeaus kamen, um den
Mietvertrag zu unterschreiben, fühlte
Gervaise, wie ihr schwer ums Herz wurde, als
sie unter dem hohen Tor hindurchschritt. Sie
sollte also in diesem Haus wohnen, das
weiträumig wie eine kleine Stadt war, mit den
sich erstreckenden und sich kreuzenden
endlosen Straßen seiner Treppen und Gänge.
Die grauen Fassaden mit den in der Sonne
trocknenden Lumpen an den Fenstern, der
fahle Hof mit dem ausgetretenen Pflaster eines
öffentlichen Platzes und das aus den Mauern
dringende Surren der Arbeit verursachten ihr
große Verwirrung, eine Freude, endlich der
Befriedigung ihres Ehrgeizes nahe zu sein, und
eine Angst, keinen Erfolg zu haben und in
diesem ungeheuren Kampf gegen den Hunger,
dessen Atemhauch sie vernahm, erdrückt zu
werden. Ihr war, als tue sie etwas sehr Kühnes,
als stürze sie sich mitten in eine in Gang
befindliche Maschine, während die Hämmer
des Schlossers und die Hobel des
Kunsttischlers hinten in den Werkstätten im
Erdgeschoß klopften und pfiffen. An diesem
Tage waren die Abwässer der Färberei, die
unter der Toreinfahrt dahinflossen, von sehr
zartem Apfelgrün. Lächelnd stieg sie darüber
hinweg, sie sah in dieser Farbe ein glückliches
Vorzeichen.
Die Zusammenkunft mit dem Hausbesitzer
fand in Boches Conciergeloge statt. Herr
Marescot, ein großer Messerschmied aus der
Rue de la Paix, hatte früher die Bürgersteige
entlang den Schleifstein gedreht. Heute hieß
es, er sei mehrfacher Millionär. Er war ein
Mann von fünfundfünfzig Jahren, kräftig,
knochig, besaß das Kreuz der Ehrenlegion42
und stellte die riesigen Hände eines
ehemaligen Arbeiters zur Schau; und es
machte ihn glücklich, die Messer und Scheren
seiner Mieter mitzunehmen und sie zum
Vergnügen selber zu schleifen. Er galt als
nicht stolz, weil er stundenlang bei seinen
Concierges im Dunkel der Loge verborgen
blieb, um sich die Abrechnungen vorlegen zu
lassen. Dort wickelte er all seine Geschäfte ab.
Die Coupeaus trafen ihn an Frau Boches
schmierigem Tisch an, als er sich anhörte, wie
die Schneiderin aus dem zweiten Stock des
Aufgangs A sich mit einer ekelhaften
Bemerkung geweigert hatte zu zahlen. Als der
Mietvertrag dann unterzeichnet worden war,
drückte er dem Bauklempner die Hand. Er
mochte Arbeiter gern. Früher hatte er es schön
schwer gehabt. Aber mit Arbeit erreichte man
alles. Und nachdem er die zweihundertfünfzig
Francs für das erste Halbjahr gezählt und in
seine weite Tasche versenkt hatte, erzählte er
sein Leben, zeigte er seinen Orden.
Gervaise war es indessen etwas unbehaglich,
als sie das Verhalten der Boches sah. Sie taten
so, als kennten sie sie nicht. Katzbuckelnd
waren sie diensteifrig um den Hausbesitzer
bemüht, lauerten auf seine Worte, stimmten
ihnen kopfnickend zu. Frau Boche ging rasch
hinaus und verjagte eine Schar Kinder, die vor
der Wasserleitung herumplantschten, deren
weit aufgedrehter Hahn das Pflaster
überschwemmte. Und als sie, aufrecht und
streng in ihren Röcken, zurückkam und über
den Hof schritt mit langsamen Blicken auf alle
Fenster, wie um sich zu vergewissern, ob im
Hause alles gut in Ordnung sei, kniff sie die
Lippen zusammen, was besagte, mit welcher
Machtbefugnis sie nun ausgestattet war, da sie
dreihundert Mieter unter sich hatte. Boche
sprach erneut von der Schneiderin aus dem
zweiten Stock; er war der Meinung, man solle
sie hinaussetzen, und rechnete die
rückständigen Mieten mit der Wichtigkeit
eines Verwalters aus, dessen Amt auf dem
Spiel stehen könnte. Herr Marescot billigte
den Gedanken des Hinaussetzens, er wollte
aber noch anderthalb Monate warten. Es sei
hart, die Leute auf die Straße zu werfen, um so
mehr als das dem Hausbesitzer nicht einen Sou
in die Tasche bringe.
Und mit einem leichten Schauder fragte sich
Gervaise, ob man auch sie an dem Tage
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