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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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der
    Rue de la Goutted'Or. Wie sich das doch traf!
    Zu den Widerwärtigkeiten für Gervaise, die in
    ihrem Loch in der Rue Neuve de la Goutted'Or
    ohne Concierge so ruhig gelebt hatte, gehörte
    es, wieder unter das Joch irgendeiner bösen
    Bestie zu geraten, mit der man sich wegen
    etwas verschüttetem Wasser oder wegen der
    abends zu laut geschlossenen Tür
    herumstreiten müßte. Concierges sind ein so
    widerwärtiges Gelichter! Aber mit den Boches
    würde es ein Vergnügen sein. Man kannte
    sich, man würde sich stets verstehen. Kurzum,
    es würde wie im Familienkreis zugehen.
    An dem Tag, da die Coupeaus kamen, um den
    Mietvertrag zu unterschreiben, fühlte
    Gervaise, wie ihr schwer ums Herz wurde, als
    sie unter dem hohen Tor hindurchschritt. Sie
    sollte also in diesem Haus wohnen, das
    weiträumig wie eine kleine Stadt war, mit den
    sich erstreckenden und sich kreuzenden
    endlosen Straßen seiner Treppen und Gänge.
    Die grauen Fassaden mit den in der Sonne
    trocknenden Lumpen an den Fenstern, der
    fahle Hof mit dem ausgetretenen Pflaster eines
    öffentlichen Platzes und das aus den Mauern
    dringende Surren der Arbeit verursachten ihr
    große Verwirrung, eine Freude, endlich der
    Befriedigung ihres Ehrgeizes nahe zu sein, und
    eine Angst, keinen Erfolg zu haben und in
    diesem ungeheuren Kampf gegen den Hunger,
    dessen Atemhauch sie vernahm, erdrückt zu
    werden. Ihr war, als tue sie etwas sehr Kühnes,
    als stürze sie sich mitten in eine in Gang
    befindliche Maschine, während die Hämmer
    des Schlossers und die Hobel des
    Kunsttischlers hinten in den Werkstätten im
    Erdgeschoß klopften und pfiffen. An diesem
    Tage waren die Abwässer der Färberei, die
    unter der Toreinfahrt dahinflossen, von sehr
    zartem Apfelgrün. Lächelnd stieg sie darüber
    hinweg, sie sah in dieser Farbe ein glückliches
    Vorzeichen.
    Die Zusammenkunft mit dem Hausbesitzer
    fand in Boches Conciergeloge statt. Herr
    Marescot, ein großer Messerschmied aus der
    Rue de la Paix, hatte früher die Bürgersteige
    entlang den Schleifstein gedreht. Heute hieß
    es, er sei mehrfacher Millionär. Er war ein
    Mann von fünfundfünfzig Jahren, kräftig,
    knochig, besaß das Kreuz der Ehrenlegion42
    und stellte die riesigen Hände eines
    ehemaligen Arbeiters zur Schau; und es
    machte ihn glücklich, die Messer und Scheren
    seiner Mieter mitzunehmen und sie zum
    Vergnügen selber zu schleifen. Er galt als
    nicht stolz, weil er stundenlang bei seinen
    Concierges im Dunkel der Loge verborgen
    blieb, um sich die Abrechnungen vorlegen zu
    lassen. Dort wickelte er all seine Geschäfte ab.
    Die Coupeaus trafen ihn an Frau Boches
    schmierigem Tisch an, als er sich anhörte, wie
    die Schneiderin aus dem zweiten Stock des
    Aufgangs A sich mit einer ekelhaften
    Bemerkung geweigert hatte zu zahlen. Als der
    Mietvertrag dann unterzeichnet worden war,
    drückte er dem Bauklempner die Hand. Er
    mochte Arbeiter gern. Früher hatte er es schön
    schwer gehabt. Aber mit Arbeit erreichte man
    alles. Und nachdem er die zweihundertfünfzig
    Francs für das erste Halbjahr gezählt und in
    seine weite Tasche versenkt hatte, erzählte er
    sein Leben, zeigte er seinen Orden.
    Gervaise war es indessen etwas unbehaglich,
    als sie das Verhalten der Boches sah. Sie taten
    so, als kennten sie sie nicht. Katzbuckelnd
    waren sie diensteifrig um den Hausbesitzer
    bemüht, lauerten auf seine Worte, stimmten
    ihnen kopfnickend zu. Frau Boche ging rasch
    hinaus und verjagte eine Schar Kinder, die vor
    der Wasserleitung herumplantschten, deren
    weit aufgedrehter Hahn das Pflaster
    überschwemmte. Und als sie, aufrecht und
    streng in ihren Röcken, zurückkam und über
    den Hof schritt mit langsamen Blicken auf alle
    Fenster, wie um sich zu vergewissern, ob im
    Hause alles gut in Ordnung sei, kniff sie die
    Lippen zusammen, was besagte, mit welcher
    Machtbefugnis sie nun ausgestattet war, da sie
    dreihundert Mieter unter sich hatte. Boche
    sprach erneut von der Schneiderin aus dem
    zweiten Stock; er war der Meinung, man solle
    sie hinaussetzen, und rechnete die
    rückständigen Mieten mit der Wichtigkeit
    eines Verwalters aus, dessen Amt auf dem
    Spiel stehen könnte. Herr Marescot billigte
    den Gedanken des Hinaussetzens, er wollte
    aber noch anderthalb Monate warten. Es sei
    hart, die Leute auf die Straße zu werfen, um so
    mehr als das dem Hausbesitzer nicht einen Sou
    in die Tasche bringe.
    Und mit einem leichten Schauder fragte sich
    Gervaise, ob man auch sie an dem Tage

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