Der Todschlaeger
liebenswürdige Zuvorkommenheiten
an sich. In den ersten Jahren seiner Ehe war er
ihnen dank Gervaises Einfluß entglitten. Jetzt
holten sie ihn zurück, indem sie ihn wegen der
Angst auslachten, die ihm seine Frau einflößte.
War er denn kein Mann? Dennoch legten die
Lorilleux große Zurückhaltung an den Tag und
priesen die Verdienste der Wäscherin in
übertriebener Art und Weise. Ohne sich zu
streiten, schwor Coupeau seiner Frau, daß
seine Schwester sie sehr verehre, und bat sie,
nicht so schlecht zu ihr zu sein. Zum ersten
Ehestreit war es eines Abends wegen Etienne
gekommen. Der Bauklempner hatte den
Nachmittag bei den Lorilleux verbracht. Als
das Abendessen nach seiner Heimkehr auf sich
warten ließ und die Kinder nach der Suppe
schrien, hatte er es plötzlich Etienne entgelten
lassen und ihm ein paar tüchtige Ohrfeigen
heruntergehauen. Und eine Stunde lang hat er
herumgeknurrt: dieses Balg gehöre ihm nicht,
er wisse nicht, warum er ihn im Hause dulde;
am Ende werde er ihn noch rausschmeißen.
Bis dahin hatte er den Bengel ohne allzuviel
Aufhebens hingenommen. Am nächsten Tag
sprach er von seiner Würde. Drei Tage später
versetzte er dem Kleinen morgens und abends
Fußtritte in den Hintern, so daß das Kind,
wenn es ihn hinaufkommen hörte, zu den
Goujets flüchtete, wo ihm die alte
Spitzenklöpplerin eine Tischecke freihielt,
damit es seine Schularbeiten machen konnte.
Gervaise hatte schon lange wieder zu arbeiten
begonnen. Sie brauchte sich nicht mehr die
Mühe zu machen, die Glasglocke der Stutzuhr
abzunehmen und wieder drüber zu stülpen,
alle Ersparnisse waren durchgebracht, und es
hieß schwer schuften, für vier schuften, denn
sie waren vier Mäuler bei Tisch. Sie allein
ernährte die ganze Familie. Wenn sie hörte,
wie die Leute sie bedauerten, entschuldigte sie
Coupeau schnell. So bedenken Sie doch! Er
habe soviel erlitten, da sei es nicht
verwunderlich, wenn sein Gemüt verbittere!
Aber das würde vergehen, wenn er wieder
gesund sei. Und wenn man ihr zu verstehen
gab, daß Coupeau jetzt kräftig zu sein scheine,
daß er durchaus auf die Baustelle
zurückkehren könne, erhob sie laut Einspruch.
Nein, nein, noch nicht! Sie wolle nicht, daß er
von neuem im Bett liegen müsse. Sie wisse
wohl, was der Arzt ihr gesagt habe, jawohl!
Sie hielt ihn vom Arbeiten ab, indem sie ihm
jeden Morgen wiederholte, er solle sich Zeit
lassen, sich nicht überanstrengen. Sie steckte
ihm sogar heimlich Zwanzigsousstücke in die
Westentasche. Coupeau nahm das als etwas
Selbstverständliches hin; er klagte über alle
möglichen Schmerzen, um sich verhätscheln
zu lassen; nach einem halben Jahr dauerte
seine Genesung immer noch an. Nun kehrte er
an den Tagen, an denen er den anderen bei der
Arbeit zuschauen ging, gern ein, um mit den
Kumpels einen Schoppen Wein zu trinken.
Immerhin war man in der Weinschenke nicht
schlecht aufgehoben, man machte Witze, man
blieb dort fünf Minuten. Das machte niemand
Schande. Allein Angeber täten so, als
verreckten sie lieber vor Durst an der Tür.
Früher habe man durchaus recht gehabt, ihn
aufzuziehen, da ja ein Glas Wein noch nie
einen Menschen umgebracht habe. Aber er
schlug sich an die Brust und rechnete es sich
zur Ehre an, nur Wein zu trinken, immer nur
Wein, niemals Schnaps; Wein verlängere das
Leben, rufe keine Übelkeit hervor, mache
nicht besoffen. Dennoch war er nach Tagen
des Müßiggangs, an denen er von Baustelle zu
Baustelle, von Kneipe zu Kneipe gezogen war,
wiederholt benebelt nach Hause gekommen.
An diesen Tagen hatte Gervaise die Tür
abgeschlossen, wobei sie selber starke
Kopfschmerzen vorschützte, um zu
verhindern, daß die Goujets Coupeaus
Dummheiten mit anhörten.
Nach und nach wurde die junge Frau jedoch
traurig. Morgens und abends ging sie in die
Rue de la Goutted'Or, um sich den Laden
anzusehen, der noch immer zu vermieten war;
und sie verbarg sich, als habe sie eine eines
erwachsenen Menschen unwürdige Kinderei
begangen. Dieser Laden begann ihr erneut den
Kopf zu verdrehen. Nachts, wenn das Licht
gelöscht war, fand sie, wenn sie mit offenen
Augen davon träumte, den Reiz eines
verbotenen Vergnügens. Von neuem stellte sie
ihre Berechnungen an: zweihundertfünfzig
Francs für die Miete, hundertfünfzig Francs
für Arbeitsgerät und Einrichtung, hundert
Francs im voraus, um vierzehn Tage leben zu
können – im ganzen also fünfhundert
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