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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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nachmittags an könnte man
    nicht mehr deutlich sehen.
    Im Viertel rief der neue Laden große
    Aufregung hervor. Man beschuldigte die
    Coupeaus, sie gingen zu schnell voran und
    täten sich wichtig. In der Tat hatten sie die
    fünfhundert Francs von Goujets für die
    Einrichtung ausgegeben, ohne auch nur etwas
    zurückzubehalten, wovon sie vierzehn Tage
    leben konnten, wie sie es sich vorgenommen
    hatten. An dem Morgen, an dem Gervaise zum
    erstenmal die Fensterläden abnahm, hatte sie
    gerade sechs Francs in ihrer Geldbörse. Aber
    sie machte sich keine Sorgen, die Kunden
    stellten sich ein, und das Geschäft ließ sich
    sehr gut an. Acht Tage später, am Sonnabend,
    stellte sie vor dem Schlafengehen zwei
    Stunden lang auf einem Stückchen Papier
    Berechnungen an; und mit strahlender Miene
    weckte sie Coupeau, um ihm zu sagen, daß
    Hunderte und Tausende zu verdienen wären,
    wenn man vernünftig sei.
    »Na ja«, schrie Frau Lorilleux in der ganzen
    Rue de la Goutted'Or herum, »mein Bruder,
    dieser Einfaltspinsel, erlebt ja komische
    Geschichten! – Es fehlt bloß noch, daß
    Hinkebein einen liederlichen Lebenswandel
    führt. Das paßt gut zu ihr, nicht wahr?«
    Die Lorilleux hatten sich tödlich mit Gervaise
    verfeindet. Zuerst wären sie während der
    Renovierung des Ladens bald vor Wut
    geplatzt. Wenn sie die Maler nur von weitem
    sahen, gingen sie auf den anderen Bürgersteig
    hinüber und stiegen mit zusammengebissenen
    Zähnen in ihre Wohnung hinauf. Ein blauer
    Laden für diese nichtsnutzige Person – wenn
    das nicht dazu angetan war, rechtschaffene
    Leute gänzlich fertigzumachen! So hatte Frau
    Lorilleux gleich am zweiten Tag, als das
    Lehrmädchen gerade in dem Augenblick mit
    vollem Schwünge eine Schüssel mit Stärke
    ausgoß, als Frau Lorilleux aus dem Hause trat,
    denn auch die Straße aufgewiegelt, indem sie
    ihre Schwägerin beschuldigte, sie lasse sie
    durch ihre Arbeiterinnen beleidigen. Und alle
    Beziehungen wurden abgebrochen, man
    wechselte nur noch furchtbare Blicke, wenn
    man einander begegnete.
    »Ja, ein schöner Lebenswandel!« sagte Frau
    Lorilleux immer wieder. »Man weiß ja, woher
    sie's hat, das Geld für ihre Bude! Das hat sie
    bei dem Schmied verdient ... Auch saubere
    Leute, die da! Hat sich der Vater nicht mit
    einem Messer den Kopf abgeschnitten, um der
    Guillotine44 die Mühe zu ersparen? Irgend so
    eine schmutzige Geschichte jedenfalls!« Sie
    beschuldigte Gervaise ganz unverhohlen, mit
    Goujet zu schlafen. Sie log, sie behauptete, sie
    eines Abends zusammen auf einer Bank des
    äußeren Boulevards überrascht zu haben. Der
    Gedanke an dieses Verhältnis, an die Freuden,
    die ihre Schwägerin genießen mußte, erboste
    sie noch mehr in ihrer Ehrbarkeit, der
    Ehrbarkeit einer häßlichen Frau, Jeden Tag
    kam wieder der Schrei ihres Herzens über ihre
    Lippen: »Was hat sie denn bloß an sich, dieser
    Krüppel, daß sie geliebt wird! Liebt man mich
    denn?«
    Dann gab es endlose Tratschereien mit den
    Nachbarinnen. Sie erzählte die ganze
    Geschichte. Wahrhaftig, am Hochzeitstag habe
    Gervaise ja ein komisches Gesicht gemacht!
    Oh, sie, Frau Lorilleux, habe eine feine Nase,
    sie habe schon geahnt, wie das ausgehen
    müsse. Später, mein Gott, habe sich Hinkebein
    so sanft, so heuchlerisch gegeben, daß sie und
    ihr Mann aus Rücksicht auf Coupeau
    eingewilligt hätten, bei Nana Pate zu stehen;
    auch wenn das gehörig was koste, so eine
    Taufe wie die. Aber jetzt, wissen Sie, könne
    Hinkebein ruhig im Sterben liegen und nach
    einem Glas Wasser verlangen, sie würde ihr
    bestimmt keins geben. Sie könne weder
    unverschämte noch nichtswürdige und
    schamlose Personen leiden. Was Nana angehe,
    so sei sie immer willkommen, wenn sie
    heraufkäme, um ihren Patenonkel und ihre
    Patentante zu besuchen; die Kleine sei ja nicht
    schuld an den Missetaten der Mutter, nicht
    wahr? Coupeau, der brauche keinen Ratschlag;
    an seiner Stelle hätte jeder Mann seine Frau
    mit dem Hintern in einen Kübel getaucht und
    ihr ein paar Ohrfeigen verabreicht. Na, das sei
    schließlich seine Sache; man verlange von ihm
    ja nur, daß er Achtung vor seiner Familie
    fordere. Himmelherrgott! Wenn Lorilleux sie,
    Frau Lorilleux, in flagranti erwischt hätte, so
    wäre das nicht ruhig abgegangen; er hätte ihr
    seine Schere in den Bauch gerannt.
    Boches jedoch, die strenge Richter bei den
    Streitigkeiten im Hause waren, gaben den
    Lorilleux unrecht. Zweifellos waren die
    Lorilleux rechtschaffene, ruhige

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