Der Todschlaeger
nachmittags an könnte man
nicht mehr deutlich sehen.
Im Viertel rief der neue Laden große
Aufregung hervor. Man beschuldigte die
Coupeaus, sie gingen zu schnell voran und
täten sich wichtig. In der Tat hatten sie die
fünfhundert Francs von Goujets für die
Einrichtung ausgegeben, ohne auch nur etwas
zurückzubehalten, wovon sie vierzehn Tage
leben konnten, wie sie es sich vorgenommen
hatten. An dem Morgen, an dem Gervaise zum
erstenmal die Fensterläden abnahm, hatte sie
gerade sechs Francs in ihrer Geldbörse. Aber
sie machte sich keine Sorgen, die Kunden
stellten sich ein, und das Geschäft ließ sich
sehr gut an. Acht Tage später, am Sonnabend,
stellte sie vor dem Schlafengehen zwei
Stunden lang auf einem Stückchen Papier
Berechnungen an; und mit strahlender Miene
weckte sie Coupeau, um ihm zu sagen, daß
Hunderte und Tausende zu verdienen wären,
wenn man vernünftig sei.
»Na ja«, schrie Frau Lorilleux in der ganzen
Rue de la Goutted'Or herum, »mein Bruder,
dieser Einfaltspinsel, erlebt ja komische
Geschichten! – Es fehlt bloß noch, daß
Hinkebein einen liederlichen Lebenswandel
führt. Das paßt gut zu ihr, nicht wahr?«
Die Lorilleux hatten sich tödlich mit Gervaise
verfeindet. Zuerst wären sie während der
Renovierung des Ladens bald vor Wut
geplatzt. Wenn sie die Maler nur von weitem
sahen, gingen sie auf den anderen Bürgersteig
hinüber und stiegen mit zusammengebissenen
Zähnen in ihre Wohnung hinauf. Ein blauer
Laden für diese nichtsnutzige Person – wenn
das nicht dazu angetan war, rechtschaffene
Leute gänzlich fertigzumachen! So hatte Frau
Lorilleux gleich am zweiten Tag, als das
Lehrmädchen gerade in dem Augenblick mit
vollem Schwünge eine Schüssel mit Stärke
ausgoß, als Frau Lorilleux aus dem Hause trat,
denn auch die Straße aufgewiegelt, indem sie
ihre Schwägerin beschuldigte, sie lasse sie
durch ihre Arbeiterinnen beleidigen. Und alle
Beziehungen wurden abgebrochen, man
wechselte nur noch furchtbare Blicke, wenn
man einander begegnete.
»Ja, ein schöner Lebenswandel!« sagte Frau
Lorilleux immer wieder. »Man weiß ja, woher
sie's hat, das Geld für ihre Bude! Das hat sie
bei dem Schmied verdient ... Auch saubere
Leute, die da! Hat sich der Vater nicht mit
einem Messer den Kopf abgeschnitten, um der
Guillotine44 die Mühe zu ersparen? Irgend so
eine schmutzige Geschichte jedenfalls!« Sie
beschuldigte Gervaise ganz unverhohlen, mit
Goujet zu schlafen. Sie log, sie behauptete, sie
eines Abends zusammen auf einer Bank des
äußeren Boulevards überrascht zu haben. Der
Gedanke an dieses Verhältnis, an die Freuden,
die ihre Schwägerin genießen mußte, erboste
sie noch mehr in ihrer Ehrbarkeit, der
Ehrbarkeit einer häßlichen Frau, Jeden Tag
kam wieder der Schrei ihres Herzens über ihre
Lippen: »Was hat sie denn bloß an sich, dieser
Krüppel, daß sie geliebt wird! Liebt man mich
denn?«
Dann gab es endlose Tratschereien mit den
Nachbarinnen. Sie erzählte die ganze
Geschichte. Wahrhaftig, am Hochzeitstag habe
Gervaise ja ein komisches Gesicht gemacht!
Oh, sie, Frau Lorilleux, habe eine feine Nase,
sie habe schon geahnt, wie das ausgehen
müsse. Später, mein Gott, habe sich Hinkebein
so sanft, so heuchlerisch gegeben, daß sie und
ihr Mann aus Rücksicht auf Coupeau
eingewilligt hätten, bei Nana Pate zu stehen;
auch wenn das gehörig was koste, so eine
Taufe wie die. Aber jetzt, wissen Sie, könne
Hinkebein ruhig im Sterben liegen und nach
einem Glas Wasser verlangen, sie würde ihr
bestimmt keins geben. Sie könne weder
unverschämte noch nichtswürdige und
schamlose Personen leiden. Was Nana angehe,
so sei sie immer willkommen, wenn sie
heraufkäme, um ihren Patenonkel und ihre
Patentante zu besuchen; die Kleine sei ja nicht
schuld an den Missetaten der Mutter, nicht
wahr? Coupeau, der brauche keinen Ratschlag;
an seiner Stelle hätte jeder Mann seine Frau
mit dem Hintern in einen Kübel getaucht und
ihr ein paar Ohrfeigen verabreicht. Na, das sei
schließlich seine Sache; man verlange von ihm
ja nur, daß er Achtung vor seiner Familie
fordere. Himmelherrgott! Wenn Lorilleux sie,
Frau Lorilleux, in flagranti erwischt hätte, so
wäre das nicht ruhig abgegangen; er hätte ihr
seine Schere in den Bauch gerannt.
Boches jedoch, die strenge Richter bei den
Streitigkeiten im Hause waren, gaben den
Lorilleux unrecht. Zweifellos waren die
Lorilleux rechtschaffene, ruhige
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