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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sich
    in Lorilleux' Sessel, das rechte Bein auf einen
    Hocker ausgestreckt. Dieser Spötter, der an
    den Tagen mit Glatteis Witze über gebrochene
    Pfoten machte, war sehr verärgert über seinen
    Unfall. Es fehlte ihm an Gleichmut. Diese
    beiden Monate im Bett hatte er damit
    verbracht, zu fluchen und die Leute wütend zu
    machen. Das war wahrhaftig kein Dasein, auf
    dem Rücken liegend zu leben mit einer Stelze,
    die verschnürt und steif wie eine Wurst war.
    Na, die Decke kannte er nun wirklich, du
    meine Güte; in der Ecke des Alkovens war ein
    Riß, den er mit geschlossenen Augen hätte
    zeichnen können. Als er sich dann im Sessel
    niederließ, gab es eine andere Geschichte.
    Sollte er etwa lange hier angenagelt sitzen wie
    eine Mumie? So drollig war die Straße nun
    wieder nicht, es kam niemand hier vorbei, den
    ganzen Tag stank es nach Bleichlauge. Nein,
    wirklich, hier alterte er zu sehr, zehn Jahre
    seines Lebens hätte er gegeben, bloß um zu
    wissen, wie es mit den Befestigungsarbeiten
    stünde. Und immer wieder erging er sich in
    heftigen Anklagen gegen das Schicksal. Der
    war nicht gerecht, sein Unfall; das hätte ihm
    nicht passieren dürfen, ihm, einem guten
    Arbeiter, der kein Faulpelz, kein Säufer war.
    Bei anderen hätte er es vielleicht verstanden.
    »Papa Coupeau«, sagte er, »hat sich an einem
    Sauftag den Hals gebrochen. Ich kann nicht
    sagen, daß er das verdient hatte, aber erklärlich
    war die Sache schließlich ... Ich dagegen war
    nüchtern, völlig sorglos, ohne einen Tropfen
    Alkohol im Leibe, und da purzele ich doch
    runter, als ich mich umdrehen will, um Nana
    mal zuzulächeln! – Findet ihr das nicht ein
    starkes Stück? Wenn es einen lieben Gott gibt,
    dann richtet er die Dinge ja komisch ein. Das
    fresse ich nie.«
    Und als er seine Beine wieder gebrauchen
    konnte, hegte er einen dumpfen Groll gegen
    die Arbeit. Es war ein Unglückshandwerk,
    seine Tage wie die Katzen längs der
    Dachrinnen zu verbringen. Nicht dumm, diese
    Bourgeois! Sie schickten einen in den Tod,
    weil sie selbst viel zu feige waren, sich auf
    eine Leiter zu wagen; sie ließen sich gemütlich
    in ihrer Kaminecke nieder und pfiffen auf die
    armen Leute. Und es kam so weit, daß er
    sagte, jeder solle sich doch sein Haus selber
    mit Zink decken. Verflixt! Bei wirklicher
    Gerechtigkeit müsse man dahin kommen:
    wenn du nicht naß werden willst, bring dich
    unter Dach und Fach. Dann bedauerte er, nicht
    ein anderes Handwerk erlernt zu haben, das
    hübscher und weniger gefährlich war, das
    eines Kunsttischlers zum Beispiel. Daran sei
    wieder mal Papa Coupeau schuld; Väter hätten
    eben die dumme Angewohnheit, ihre Kinder
    trotz allem in ihr eigenes Fach zu stecken.
    Noch zwei Monate lang ging Coupeau an
    Krücken. Zuerst hatte er auf die Straße
    hinuntergehen, vor der Tür eine Pfeife rauchen
    können. Dann war er bis zum äußeren
    Boulevard gegangen, hatte sich mühsam in der
    Sonne fortgeschleppt, war stundenlang auf
    einer Bank sitzen geblieben. Seine
    Fröhlichkeit kehrte zurück, seine höllische
    Schandschnauze schärfte sich bei seinen
    langen Bummeleien. Und mit der Lebenslust
    bekam er eine Freude daran, so müßig
    dazusitzen, mit gelösten Gliedern und in
    sanften Schlummer hinübergleitenden
    Muskeln. Es war gleichsam eine langsame
    Eroberung durch die Faulheit, die sich seine
    Genesung zunutze machte, um in seine Haut
    einzudringen und ihn benommen zu machen,
    indem sie ihn kitzelte. Er wurde wieder
    gesund, spöttisch, fand das Leben schön und
    sah nicht ein, warum das nicht immer so
    weitergehen sollte. Als er sich ohne Krücken
    behelfen konnte, dehnte er seine Spaziergänge
    weiter aus, lief die Baustellen ab, um die
    Kumpels wiederzusehen. Mit verschränkten
    Armen blieb er grinsend, und kopfschüttelnd
    vor den in Bau befindlichen Häusern stehen;
    und er ulkte über die Arbeiter, die sich
    abplackten, er streckte sein Bein aus, um ihnen
    zu zeigen, wohin es führe, wenn man sich
    abrackere. Dieses spöttelnde Verweilen
    angesichts des Schuftens der anderen
    befriedigte seinen Groll gegen die Arbeit.
    Zweifellos würde er sie wiederaufnehmen, das
    mußte er wohl; aber das sollte so spät wie
    möglich geschehen. Oh, er hatte seinen Lohn
    weg, um es an Begeisterung fehlen zu lassen.
    Zudem kam es ihm so schön vor, ein bißchen
    zu faulenzen.
    An den Nachmittagen, an denen sich Coupeau
    langweilte, ging er zu den Lorilleux hinauf.
    Diese bedauerten ihn sehr, zogen ihn durch
    allerlei

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