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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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nach Stichelei so weit gegangen, die
    Augen der Wäscherin herrlich zu finden,
    Augen, an denen man Papierstückchen hätte
    anzünden können; und daraufhin hatten beide,
    nachdem sie sich geohrfeigt hatten,
    geschworen, sich nicht mehr wiederzusehen.
    Jetzt verbrachte Frau Lerat ihre Abende im
    Laden, wo sie insgeheim an den
    Schweinereien der langen Clémence ihren
    Spaß hatte.
    Drei Jahre vergingen. Man zankte sich, und
    man versöhnte sich noch mehrere Male.
    Gervaise waren die Lorilleux, die Boches und
    alle, die ihr nicht zum Munde redeten, höchst
    schnuppe. Wenn sie nicht zufrieden waren –
    nicht wahr? –, konnten sie doch das Maul
    halten. Sie verdiente, was sie wollte, das war
    die Hauptsache. Im Viertel war sie schließlich
    sehr angesehen, weil man alles in allem so
    gute Kunden nicht massenhaft fand, denn sie
    bezahlte auf Heller und Pfennig, war nicht
    knauserig, nicht nörgelig. Sie holte ihr Brot bei
    Frau Coudeloup in der Rue des Poissonniers,
    ihr Fleisch bei dem dicken Charles, einem
    Schlächter in der Rue Polonceau, und ihre
    Kolonialwaren bei Lehongre in der Rue de la
    Goutte d'Or fast gegenüber von ihrem Laden.
    François, der Weinhändler an der Straßenecke,
    brachte ihr ihren Wein in Korbflaschen zu
    fünfzig Liter. Der Nachbar Vigouroux, dessen
    Frau blaue Hüften haben mußte, so sehr
    kniffen die Männer sie, verkaufte ihr seinen
    Koks zum Abgabepreis der Gasgesellschaft.
    Und ihre Lieferanten, das konnte man sagen,
    bedienten sie gewissenhaft, weil sie genau
    wußten, daß bei ihr alles zu verdienen war,
    wenn man sich liebenswürdig zeigte. Deshalb
    schallte es ihr, wenn sie in Pantoffeln und mit
    bloßem Kopf im Viertel einen Gang machte,
    von allen Seiten »Guten Tag!« entgegen. Dort
    blieb sie ja zu Hause, die Nachbarstraßen
    waren gleichsam die natürlichen
    Nebengebäude ihrer Wohnung, die geradezu
    zum Bürgersteig offenstand. Nun kam es bei
    ihr vor, daß sie eine Besorgung in die Länge
    zog, weil sie glücklich war, draußen zu sein
    inmitten ihrer Bekannten. An den Tagen, da
    sie keine Zeit hatte, etwas aufs Feuer zu
    setzen, holte sie Essenportionen und schwatzte
    bei dem Speisewirt, der den Laden auf der
    anderen Seite des Hauses innehatte, eine
    geräumige Gaststube mit großen, staubigen
    Fensterscheiben, durch deren Schmutz man
    hinten das trübe Tageslicht des Hofes
    gewahrte. Oder sie blieb stehen und plauderte,
    die Hände mit Tellern und Schalen beladen,
    vor irgendeinem Fenster im Erdgeschoß, hinter
    dem man die Wohnung eines Flickschusters
    flüchtig sah, mit dem ungemachten Bett, dem
    Fußboden, auf dem man vor Lumpen, zwei
    krüppeligen Wiegen und der Pechschüssel voll
    schwarzen Wassers nicht treten konnte. Aber
    der Nachbar, den sie am meisten achtete, war
    noch immer der Uhrmacher gegenüber, der
    sauber aussehende Herr im Gehrock, der
    ständig mit zierlichen Werkzeugen in den
    Uhren herumstocherte. Und oft ging sie über
    die Straße, um ihn zu begrüßen, und lachte vor
    Entzücken, wenn sie in dem Laden, der schmal
    wie ein Schrank war, der Fröhlichkeit der
    kleinen Kuckucksuhren zuschaute, deren
    Pendel sich eilig bewegten und die alle
    gleichzeitig in falschem Takt die Stunde
    schlugen.

    Kapitel VI
    An einem Herbstnachmittag befand sich
    Gervaise, die gerade Wäsche zu einer Kundin
    in der Rue des PortesBlanches zurückgebracht
    hatte, am unteren Ende der Rue des
    Poissonniers, als der Tag zur Neige ging. Am
    Vormittag hatte es geregnet, das Wetter war
    sehr mild, ein Geruch entströmte dem
    glitschigen Pflaster. Und die Wäscherin, die
    durch ihren großen Korb behindert war, bekam
    schlecht Luft, während sie mit langsamerem
    Gang, schlaffem Körper, in der unbestimmten
    Befangenheit eines sinnlichen Verlangens, das
    bei ihrer Ermattung noch gewachsen war, die
    Straße hinaufstieg. Sie hätte gern etwas Gutes
    gegessen. Da bemerkte sie, als sie aufblickte,
    das Straßenschild der Rue Marcadet. Auf
    einmal kam ihr der Einfall, Goujet in seiner
    Schmiede zu besuchen. Unzählige Male hatte
    er zu ihr gesagt, sie solle eines Tages einen
    Abstecher machen, wenn sie zusehen möchte,
    wie das Eisen bearbeitet wird. Übrigens könne
    sie ja vor den anderen Arbeitern nach Etienne
    fragen, sie würde den Anschein erwecken, als
    habe sie sich einzig und allein des Kleinen
    wegen zum Hereinkommen entschlossen.
    Die Bolzen und Nietenfabrik mußte dort an
    diesem Ende der Rue Marcadet liegen, sie
    wußte nicht genau wo, zumal oft die Nummern
    an den

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