Der Todschlaeger
beruhigt, abgekühlt durch
die stocksteifen Gesichter der Lorilleux. Sie
hatte nie den Fuß über deren Schwelle gesetzt,
ohne Unbehagen zu empfinden. Die Augen auf
die Erde, auf die Rauten des hölzernen
Lattenrostes gerichtet, durch den die
Goldabfälle fielen, sprach sie sich nun mit
vernünftiger Miene aus. Mama Coupeau habe
drei Kinder, wenn jedes hundert Sous gebe, so
würde das nur fünfzehn Francs ausmachen,
und das sei wirklich nicht genug, davon könne
man nicht leben; man müsse den Betrag
zumindest verdreifachen.
Lorilleux aber erhob laut Einspruch. Woher
solle er denn fünfzehn Francs im Monat
stehlen? Die Leute seien ja komisch, man halte
ihn wohl für reich, weil er Gold bei sich zu
Hause habe. Dann hackte er auf Mama
Coupeau herum: sie wolle morgens nicht ihren
Kaffee entbehren, sie trinke ihr Schnäpschen,
sie bekunde Ansprüche wie jemand, der
Vermögen gehabt hat. Bei Gott! Jedermann
liebe seine Bequemlichkeit; wenn man es aber
nicht verstanden habe, einen Sou beiseite zu
legen, nicht wahr, dann mache man es eben
wie die Kumpels, man schnalle sich den
Bauchriemen enger. Übrigens sei Mama
Coupeau noch nicht in dem Alter, wo man
nicht mehr arbeiten könne; sie sehe noch ganz
schön deutlich, wenn es einen guten Bissen auf
dem Boden der Schüssel aufzugabeln gelte;
kurzum, sie sei eine alte ausgekochte Person,
sie träume davon, sich verhätscheln zu lassen.
Selbst wenn er die Mittel dazu hätte, würde er
falsch zu handeln glauben, jemand in seiner
Faulheit zu unterstützen.
Doch Gervaise blieb versöhnlich, erörterte
friedlich diese schlechten Beweggründe. Sie
suchte die Lorilleux zu erweichen. Aber
schließlich gab ihr der Mann keine Antwort
mehr. Die Frau stand nun vor der Schmiede
und war im Begriff, ein Stück Kette in der
langstieligen, mit verdünntem Scheidewasser
gefüllten kleinen Kupferpfanne abzubeizen.
Sie war immerzu bestrebt, Gervaise den
Rücken zuzuwenden, als wäre sie hundert
Meilen weit entfernt. Gervaise redete immer
noch, sah zu, wie sie sich inmitten des
schwarzen Staubes der Werkstatt in die Arbeit
verbohrten, den Leib gekrümmt, die Kleider
geflickt und schmierig, zur vertierten Härte
alter Werkzeuge gekommen bei ihrer
engstirnigen Maschinenverrichtung. Da stieg
ihr jäh der Zorn in die Kehle, sie schrie:
»Also gut, das ist mir lieber, behalten Sie Ihr
Geld! – Ich nehme Mama Coupeau zu mir,
verstanden! Neulich habe ich abends eine
Katze aufgelesen, da kann ich wohl Ihre
Mutter auflesen. Und es wird ihr an nichts
fehlen, und sie wird ihren Kaffee und ihr
Schnäpschen haben! – Mein Gott, was für eine
dreckige Familie!«
Mit einem Schlag hatte Frau Lorilleux sich
umgedreht. Sie schwang die Pfanne, als wolle
sie ihrer Schwägerin das Scheidewasser ins
Gesicht schütten. Sie haspelte hervor:
»Scheren Sie sich davon, oder ich richte ein
Unglück an! – Und rechnen Sie nicht auf die
hundert Sous, denn ich gebe nicht einen
Pfifferling! Nein, nicht einen Pfifferling! – Na
ja, hundert Sous! Mama würde Ihr
Dienstmädchen sein, und Sie würden sich an
meinen hundert Sous gütlich tun! Wenn sie zu
Ihnen zieht, sagen Sie ihr das, kann sie
verrecken, ich werde ihr nicht mal ein Glas
Wasser schicken ... Los, raus! Machen Sie, daß
Sie wegkommen!«
»Was für ein Ungeheuer, dieses Weib!« sagte
Gervaise und schlug heftig die Tür zu.
Gleich am nächsten Tag nahm sie Mama
Coupeau zu sich. Sie stellte ihr Bett in die
große Kammer, in der Nana schlief und die ihr
Licht durch eine runde Luke in der Nähe der
Decke erhielt. Der Umzug dauerte nicht lange,
denn Mama Coupeau besaß als ganzes
Mobiliar dieses Bett, einen alten
Nußbaumschrank, den man in die Stube mit
der schmutzigen Wäsche stellte, einen Tisch
und zwei Stühle. Der Tisch wurde verkauft,
und die beiden Stühle erhielten neues
Strohgeflecht. Und noch am Abend ihres
Einzuges fegte die alte Frau ein bißchen aus,
wusch das Geschirr ab, kurzum, sie machte
sich nützlich, weil sie sehr froh war, aus der
Klemme heraus zu sein.
Die Lorilleux platzten bald vor Wut, zumal
sich Frau Lerat gerade mit den Coupeaus
wieder ausgesöhnt hatte. Eines schönen Tages
hatten sich die beiden Schwestern, die
Blumenmacherin und die Kettenmacherin,
wegen Gervaise gebackpfeift. Die erstere hatte
es gewagt, Gervaises Verhalten ihrer beider
Mutter gegenüber gutzuheißen; dann war sie,
da sie die andere aufgebracht sah, aus einem
Bedürfnis
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