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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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baufälligen Häusern fehlten, zwischen
    denen unbebaute Grundstücke lagen. Es war
    eine Straße, in der sie für alles Gold auf der
    Welt nicht hätte wohnen mögen, eine breite,
    schmutzige, vom Kohlenstaub der
    benachbarten Fabriken schwarze Straße mit
    ausgefahrenem Pflaster und Wagenspuren, in
    denen Wasserlachen versumpften. An beiden
    Rändern war eine lange Reihe von Schuppen,
    große verglaste Werkstätten, graue, gleichsam
    unvollendete Bauten, die ihre Ziegelsteine und
    ihr Gebälk zeigten, ein wildes Durcheinander
    von wackligen Gemäuern, die von
    Durchblicken auf das Land durchbrochen und
    von finsteren Absteigehotels und anrüchigen
    Garküchen flankiert wurden. Sie erinnerte sich
    lediglich, daß die Fabrik neben einem
    LumpenundSchrottSpeicher lag, einer Art in
    Erdbodenhöhe offenen Faulgrube, in der für
    Hunderttausende von Francs Waren schliefen,
    wie Goujet erzählte. Und sie suchte sich
    inmitten des Radaus der Fabriken
    zurechtzufinden; dünne Rohre bliesen auf den
    Dächern heftig Dampf strahlen aus; ein
    Sägewerk gab regelmäßiges Knirschen von
    sich, das jähem Zerreißen eines Stückes
    Kaliko glich; Knopffabriken erschütterten den
    Erdboden mit dem Rollen und dem Ticktack
    ihrer Maschinen. Als sie unschlüssig in
    Richtung Montmartre schaute, weil sie nicht
    wußte, ob sie noch weiter vorstoßen sollte,
    drückte ein Windstoß den Ruß aus einem
    hohen Schornstein nieder, verpestete die
    Straße; und sie schloß erstickt die Augen, da
    vernahm sie einen taktmäßigen Hämmerlärm:
    sie stand, ohne es zu wissen, genau vor der
    Fabrik, was sie an dem Loch voller Lumpen
    nebenan erkannte.
    Allerdings zögerte sie noch, weil sie nicht
    wußte, wo sie hineingehen sollte. Ein
    zerborstener Bretterzaun legte einen
    Durchgang frei, der mitten in den Schutt eines
    Abbruchplatzes vorzudringen schien. Da eine
    schlammige Pfütze den Weg versperrte, hatte
    man zwei Bretter quer darüber geworfen.
    Schließlich wagte sie sich über, die Bretter,
    wandte sich nach links, sah sich verloren in
    einem seltsamen Wald von umgestürzten alten
    Karren, deren Deichseln in die Luft ragten,
    und eingefallenen Gemäuern, deren
    Balkengerippe noch aufrecht standen. Im
    Hintergrund leuchtete, die schmutzige Nacht
    mit einem Rest von Tageslicht durchbohrend,
    ein rotes Feuer. Der Hämmerlärm hatte
    aufgehört. Vorsichtig ging sie vorwärts und
    schritt auf den Lichtschein zu, als ein Arbeiter
    mit kohleschwarzem und durch einen
    Bocksbart struppigem Gesicht mit einem
    schiefen Blick aus seinen blassen Augen dicht
    an ihr vorüberging.
    »Mein Herr«, fragte sie, »hier arbeitet doch ein
    Kind namens Etienne, nicht wahr? – Das ist
    mein Junge.«
    »Etienne, Etienne?« wiederholte der Arbeiter,
    der hin und her schlenkerte, mit heiserer
    Stimme. »Etienne, nein, kenn ich nicht.« Als
    er den Mund aufmachte, hauchte er jenen
    Alkoholgeruch alter Schnapsfässer aus, deren
    Zapfen man entfernt hat. Und da dieses
    Zusammentreffen mit einer Frau in diesem
    finsteren Winkel ihn zum Spaßen reizte, wich
    Gervaise zurück und murmelte:
    »Aber hier arbeitet doch Herr Goujet?«
    »Ach, Goujet, ja«, sagte der Arbeiter, »ist
    bekannt, Goujet ... Wenn Sie wegen Goujet
    herkommen ... Gehen Sie dahinten hin.« Und
    sich umdrehend, schrie er mit seiner Stimme,
    die wie gesprungenes Kupfer klang: »Hör mal,
    Goldmaul, hier ist eine Dame für dich!«
    Doch ein Krachen von Eisenzeug erstickte
    diesen Schrei. Gervaise ging nach hinten. Sie
    gelangte an eine Tür, machte einen langen
    Hals. Es war ein weiter Raum, in dem sie
    zunächst nichts unterscheiden konnte. Die
    Schmiede, die wie tot dalag, hatte in einer
    Ecke einen verblaßten Sternenschein, der die
    Vertiefung der Finsternis noch weiter
    zurückschob. Breite Schatten wallten umher.
    Und zuweilen waren da schwarze Massen, die
    vor dem Feuer vorüberzogen, diesen letzten
    Flecken Helligkeit verstopften, übermäßig
    vergrößerte Männer, deren grobe Glieder man
    ahnte. Da Gervaise sich nicht weiter vorwagte,
    rief sie von der Tür her mit halber Stimme:
    »Herr Goujet, Herr Goujet ...«
    Jäh wurde alles hell. Unter dem Schnauben des
    Blasebalgs war eine weiße Stichflamme
    emporgeschossen. Der von Bretterwänden
    abgeschlossene Schuppen kam zum
    Vorschein, mit grob vermauerten Löchern, mit
    Ecken, die mittels Ziegelmauern verstärkt
    waren. Der Staub, der von der Kohle aufflog,
    hatte diese Halle mit grauem Ruß getüncht.
    Spinnweben hingen an den Balken

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