Der Todschlaeger
baufälligen Häusern fehlten, zwischen
denen unbebaute Grundstücke lagen. Es war
eine Straße, in der sie für alles Gold auf der
Welt nicht hätte wohnen mögen, eine breite,
schmutzige, vom Kohlenstaub der
benachbarten Fabriken schwarze Straße mit
ausgefahrenem Pflaster und Wagenspuren, in
denen Wasserlachen versumpften. An beiden
Rändern war eine lange Reihe von Schuppen,
große verglaste Werkstätten, graue, gleichsam
unvollendete Bauten, die ihre Ziegelsteine und
ihr Gebälk zeigten, ein wildes Durcheinander
von wackligen Gemäuern, die von
Durchblicken auf das Land durchbrochen und
von finsteren Absteigehotels und anrüchigen
Garküchen flankiert wurden. Sie erinnerte sich
lediglich, daß die Fabrik neben einem
LumpenundSchrottSpeicher lag, einer Art in
Erdbodenhöhe offenen Faulgrube, in der für
Hunderttausende von Francs Waren schliefen,
wie Goujet erzählte. Und sie suchte sich
inmitten des Radaus der Fabriken
zurechtzufinden; dünne Rohre bliesen auf den
Dächern heftig Dampf strahlen aus; ein
Sägewerk gab regelmäßiges Knirschen von
sich, das jähem Zerreißen eines Stückes
Kaliko glich; Knopffabriken erschütterten den
Erdboden mit dem Rollen und dem Ticktack
ihrer Maschinen. Als sie unschlüssig in
Richtung Montmartre schaute, weil sie nicht
wußte, ob sie noch weiter vorstoßen sollte,
drückte ein Windstoß den Ruß aus einem
hohen Schornstein nieder, verpestete die
Straße; und sie schloß erstickt die Augen, da
vernahm sie einen taktmäßigen Hämmerlärm:
sie stand, ohne es zu wissen, genau vor der
Fabrik, was sie an dem Loch voller Lumpen
nebenan erkannte.
Allerdings zögerte sie noch, weil sie nicht
wußte, wo sie hineingehen sollte. Ein
zerborstener Bretterzaun legte einen
Durchgang frei, der mitten in den Schutt eines
Abbruchplatzes vorzudringen schien. Da eine
schlammige Pfütze den Weg versperrte, hatte
man zwei Bretter quer darüber geworfen.
Schließlich wagte sie sich über, die Bretter,
wandte sich nach links, sah sich verloren in
einem seltsamen Wald von umgestürzten alten
Karren, deren Deichseln in die Luft ragten,
und eingefallenen Gemäuern, deren
Balkengerippe noch aufrecht standen. Im
Hintergrund leuchtete, die schmutzige Nacht
mit einem Rest von Tageslicht durchbohrend,
ein rotes Feuer. Der Hämmerlärm hatte
aufgehört. Vorsichtig ging sie vorwärts und
schritt auf den Lichtschein zu, als ein Arbeiter
mit kohleschwarzem und durch einen
Bocksbart struppigem Gesicht mit einem
schiefen Blick aus seinen blassen Augen dicht
an ihr vorüberging.
»Mein Herr«, fragte sie, »hier arbeitet doch ein
Kind namens Etienne, nicht wahr? – Das ist
mein Junge.«
»Etienne, Etienne?« wiederholte der Arbeiter,
der hin und her schlenkerte, mit heiserer
Stimme. »Etienne, nein, kenn ich nicht.« Als
er den Mund aufmachte, hauchte er jenen
Alkoholgeruch alter Schnapsfässer aus, deren
Zapfen man entfernt hat. Und da dieses
Zusammentreffen mit einer Frau in diesem
finsteren Winkel ihn zum Spaßen reizte, wich
Gervaise zurück und murmelte:
»Aber hier arbeitet doch Herr Goujet?«
»Ach, Goujet, ja«, sagte der Arbeiter, »ist
bekannt, Goujet ... Wenn Sie wegen Goujet
herkommen ... Gehen Sie dahinten hin.« Und
sich umdrehend, schrie er mit seiner Stimme,
die wie gesprungenes Kupfer klang: »Hör mal,
Goldmaul, hier ist eine Dame für dich!«
Doch ein Krachen von Eisenzeug erstickte
diesen Schrei. Gervaise ging nach hinten. Sie
gelangte an eine Tür, machte einen langen
Hals. Es war ein weiter Raum, in dem sie
zunächst nichts unterscheiden konnte. Die
Schmiede, die wie tot dalag, hatte in einer
Ecke einen verblaßten Sternenschein, der die
Vertiefung der Finsternis noch weiter
zurückschob. Breite Schatten wallten umher.
Und zuweilen waren da schwarze Massen, die
vor dem Feuer vorüberzogen, diesen letzten
Flecken Helligkeit verstopften, übermäßig
vergrößerte Männer, deren grobe Glieder man
ahnte. Da Gervaise sich nicht weiter vorwagte,
rief sie von der Tür her mit halber Stimme:
»Herr Goujet, Herr Goujet ...«
Jäh wurde alles hell. Unter dem Schnauben des
Blasebalgs war eine weiße Stichflamme
emporgeschossen. Der von Bretterwänden
abgeschlossene Schuppen kam zum
Vorschein, mit grob vermauerten Löchern, mit
Ecken, die mittels Ziegelmauern verstärkt
waren. Der Staub, der von der Kohle aufflog,
hatte diese Halle mit grauem Ruß getüncht.
Spinnweben hingen an den Balken
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