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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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zog die kleineren aus, um
    sie wieder anzuziehen, wollte die anderen
    überall untersuchen, fummelte an ihnen herum
    und übte den schrullenhaften Despotismus
    einer Erwachsenen aus, die Lastern frönt.
    Unter ihrer Führung wurden Spiele zum
    Ohrfeigen veranstaltet. Die Schar plantschte in
    den bunten Wassern der Färberei umher, kam
    mit bis zu den Knien blau oder rot gefärbten
    Beinen aus ihnen heraus; dann entflog sie zum
    Schlosser, wo sie Nägel und Eisenfeilspäne
    stibitzte, und zog wieder los, um sich mitten in
    den Hobelspänen des Tischlers niederzulassen,
    riesigen, höchst spaßigen Haufen von
    Hobelspänen, in denen man sich wälzte und
    dabei den Hintern zeigte. Der Hof gehörte ihr,
    hallte wider vom Radau der kleinen Schuhe,
    die sich im wilden Durcheinander
    überschlugen, und vom durchdringenden
    Geschrei der Stimmen, die jedesmal
    anschwollen, wenn die Schar wieder aufflog.
    An manchen Tagen reichte sogar der Hof nicht
    aus. Dann stürzte sich die Schar in die Keller,
    kam wieder hoch, kletterte eine Treppe hoch,
    huschte in einen Gang, kam wieder herunter,
    nahm wieder eine Treppe, folgte einem
    anderen Gang, und das stundenlang, ohne
    müde zu werden, immerfort brüllend, das
    riesige Haus mit dem Hasten schädlicher Tiere
    erschütternd, die hinten in alle Winkel
    losgelassen wurden.
    »Ist das ein nichtsnutziges Pack!« schrie Frau
    Boche. »Wirklich, die Leute müssen ja sehr
    wenig zu tun haben, daß sie so viele Kinder
    machen ... Und so was beklagt sich noch, daß
    es kein Brot hat!«
    Boche meinte, Kinder wüchsen in dem Elend
    wie Pilze auf dem Mist. Die Portiersfrau schrie
    den ganzen Tag, sie drohte ihnen mit ihrem
    Besen. Schließlich schloß sie die Tür zu den
    Kellern ab, weil sie von Pauline, der sie ein
    paar Maulschellen verabfolgte, erfuhr, daß
    Nana auf den Gedanken gekommen war, dort
    unten im Dunkeln Doktor zu spielen; dieses
    verdorbene Ding verabreichte den anderen
    Medikamente mit Stöckchen.
    Eines Nachmittags gab es nun einen
    gräßlichen Auftritt. Das mußte übrigens ja mal
    kommen. Nana hatte sich ein sehr drolliges
    Spielchen ausgedacht. Sie hatte vor der
    Conciergeloge einen Holzschuh von Frau
    Boche gestohlen. Sie band eine Schnur an ihm
    fest, begann ihn wie einen Wagen hinter sich
    herzuziehen. Victor kam nun auf den Einfall,
    den Holzschuh mit Apfelschalen zu füllen.
    Alsdann bildete sich ein langer Zug. Den
    Holzschuh ziehend, marschierte Nana voran.
    Pauline und Victor schritten rechts und links
    von ihr. Ordentlich folgte dann die ganze
    Horde der Knirpse, zuerst die großen, danach
    die sich herumstoßenden kleinen; ein Baby im
    Rock, ein Dreikäsehoch, der auf dem Ohr ein
    eingedrücktes Schlapphütchen trug, kam
    zuletzt. Und der Zug sang irgend etwas
    Trauriges, lauter Ohs und Ahs. Nana hatte
    gesagt, man wolle Beerdigung spielen; die
    Apfelschalen waren der Tote. Als man um den
    Hof gezogen war, fing man wieder von vorn
    an. Das fand man höchst spaßig.
    »Was machen die denn?« murmelte Frau
    Boche, die, stets mißtrauisch und auf der
    Lauer, aus ihrer Conciergeloge trat, um
    nachzusehen. Und als sie begriffen hatte,
    schrie sie wütend: »Aber das ist ja mein
    Holzschuh! Oh, diese Lumpen!« Sie teilte
    Katzenköpfe aus, gab Nana Ohrfeigen auf
    beide Backen, versetzte Pauline, dieser
    dummen Pute, die es zuließ, daß ihrer Mutter
    der Holzschuh weggenommen wurde, einen
    Fußtritt.
    Gervaise füllte gerade einen Eimer an der
    Wasserleitung. Als sie gewahrte, daß Nana aus
    der Nase blutete und vor Schluchzen erstickte,
    wäre sie der Concierge beinahe an den Hals
    gesprungen. Schlage man denn auf ein Kind
    ein wie auf einen Ochsen? Man müsse ja kein
    Herz haben, die allerverworfenste Person sein.
    Natürlich antwortete Frau Boche. Wenn man
    ein solches Miststück von Tochter habe, so
    halte man sie hinter Schloß und Riegel.
    Schließlich erschien Boche selber auf der
    Schwelle der Conciergeloge, um seiner Frau
    zuzuschreien, sie solle hereinkommen und sich
    nicht so viel mit Dreck abgeben. Das gab ein
    völliges Zerwürfnis.
    Allerdings ging es zwischen den Boches und
    den Coupeaus seit einem Monat überhaupt
    nicht mehr gut. Gervaise, die von Natur aus
    sehr freigebig war, spendierte alle
    Augenblicke Literflaschen Wein, Tassen mit
    Brühe, Apfelsinen, Kuchenstückchen. Eines
    Abends hatte sie den Rest einer Schüssel Salat,
    Gartenzichorie mit roten Rüben, in die Loge
    gebracht, weil sie wußte, daß die Concierge
    für einen solchen Salat zu

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