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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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jeder Gemeinheit
    fähig wäre. Aber am nächsten Tage wurde sie
    ganz weiß, als sie Fräulein Remanjou erzählen
    hörte, wie Frau Boche die Gartenzichorie vor
    allen Leuten mit angewiderter Miene unter
    dem Vorwand weggeworfen hatte, sie sei Gott
    sei Dank noch nicht so weit gesunken, daß sie
    sich von Dingen ernähre, in denen andere
    herumgepantscht hätten. Und von da an stellte
    Gervaise alle Geschenke kurzerhand ein; keine
    Literflaschen Wein mehr, keine Tassen Brühe
    mehr, keine Apfelsinen mehr, keine Stückchen
    Kuchen mehr, nichts mehr. Da hätte man
    sehen sollen, was für eine Nase die Boches
    machten! Es kam ihnen wie ein Diebstahl vor,
    den die Coupeaus an ihnen verübten. Gervaise
    sah ihren Fehler ein; denn hätte sie schließlich
    nicht die Dummheit besessen, ihnen so viel
    zuzustecken, hätten sie auch keine schlechten
    Gewohnheiten angenommen und wären nett
    geblieben. Nun ließ die Concierge kein gutes
    Haar an ihr. Zum Oktobertermin schwatzte sie
    dem Hausbesitzer, Herrn Marescot, nicht
    enden wollendes Zeug vor, weil die
    Wäscherin, die ihre Siebensachen mit
    Fressereien durchbringe, mit der Miete einen
    Tag im Rückstand war. Und Herr Marescot,
    der auch nicht sehr höflich war, trat sogar mit
    dem Hut auf dem Kopf in den Laden und
    verlangte sein Geld, das man ihm übrigens
    sofort verabfolgte. Selbstverständlich hatten
    die Boches den Lorilleux die Hand gereicht.
    Mit den Lorilleux zechte man jetzt in der
    Conciergeloge

    inmitten

    von
    Rührungsausbrüchen über die Versöhnung.
    Ohne dieses Hinkebein, die Berge zum
    Prügeln gebracht hätte, würde man sich
    niemals überworfen haben. Oh, die Boches
    kannten sie nun, sie begriffen, wie sehr die
    Lorilleux hatten leiden müssen. Und wenn sie
    vorüberging, grinsten alle absichtlich unter der
    Tür.
    Dennoch ging Gervaise eines Tages zu den
    Lorilleux hinauf. Es handelte sich um Mama
    Coupeau, die jetzt siebenundsechzig Jahre alt
    war. Mama Coupeaus Augenlicht war völlig
    hin. Auch mit ihren Beinen ging es überhaupt
    nicht mehr. Eben hatte sie gezwungenermaßen
    ihre letzte Aufwartestelle aufgegeben und
    drohte vor Hunger zu krepieren, wenn man sie
    nicht unterstützte. Gervaise fand, es sei eine
    Schande, daß eine Frau in diesem Alter, die
    drei Kinder hatte, so von Gott und den
    Menschen im Stich gelassen wurde. Und da
    sich Coupeau weigerte, mit den Lorilleux zu
    sprechen, und zu Gervaise sagte, sie könne ja
    hinaufgehen, ging diese hinauf, im Banne
    einer Entrüstung, von der ihr das Herz schwer
    war. Oben stürmte sie herein, ohne
    anzuklopfen. Nichts hatte sich seit dem Abend
    geändert, an dem ihr die Lorilleux zum
    erstenmal einen sowenig einladenden Empfang
    bereitet hatten. Derselbe verschossene
    Wollfetzen trennte die Stube von der
    Werkstatt, eine Wohnung wie ein
    Flintenschuß, die für einen Aal gebaut zu sein
    schien. Im Hintergrund faßte Lorilleux, über
    seinen Arbeitstisch gebeugt, die Ösen eines
    Stückchens Säule eine nach der anderen mit
    der Zange, während Frau Lorilleux vor dem
    Schraubstock stand und einen Golddraht durch
    das Zieheisen zog. Die kleine Schmiede hatte
    im hellen Tageslicht einen rosigen
    Widerschein.
    »Ja, ich bin's!« sagte Gervaise. »Das wundert
    Sie, weil wir spinnefeind sind? Aber ich
    komme weder meinetwegen noch Ihretwegen,
    wie Sie sich wohl denken können ... Wegen
    Mama Coupeau komme ich. Ja, ich komme,
    um zu sehen, ob wir sie auf ein Stück Brot und
    die Barmherzigkeit von andern warten lassen.«
    »Na, so was! So hereinzukommen!« brummte
    Frau Lorilleux. »Dazu muß man eine gehörige
    Frechheit besitzen.« Und sie drehte ihr den
    Rücken zu, sie begann wieder ihren Golddraht
    zu ziehen, wobei sie so tat, als nehme sie die
    Anwesenheit ihrer Schwägerin nicht zur
    Kenntnis.
    Aber Lorilleux hatte sein leichenblasses
    Gesicht erhoben und schrie:
    »Was sagen Sie?« Da er ausgezeichnet
    verstanden hatte, fuhr er dann fort: »Wieder
    Klatschereien, nicht wahr? Das ist ja nett von
    Mama Coupeau, überall ihr Elend
    herumzuheulen! – Vorgestern hat sie doch hier
    gegessen. Wir hier tun, was wir können. Wir
    haben doch keinen Geldsack ... Wenn sie
    allerdings zu anderen schwatzen geht, dann
    kann sie dort bleiben, denn wir haben Spione
    nicht gern.« Er nahm das Stückchen Kette
    wieder auf, drehte Gervaise nun auch den
    Rücken zu, wobei er gleichsam bedauernd
    hinzusetzte: »Wenn jeder monatlich hundert
    Sous gibt, dann geben wir auch hundert Sous.«
    Gervaise hatte sich

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