Der Törichte Engel
irgendwie verwässern.
Es war Raziels erstes Weihnachtswunder. Zweitausend Jahre lang hatte man ihn bei dieser Aufgabe übergangen, aber jetzt endlich kam er an die Reihe. Nun, eigentlich wäre der Erzengel Michael dran gewesen, aber Raziel bekam den Job schließlich, weil er beim Kartenspiel verloren hatte. Michael hatte den Planeten Venus gegen das ihm zugeteilte Weihnachtswunder gewettet. Die Venus! Zwar war er nicht ganz sicher gewesen, was er mit der Venus anfangen sollte, wenn er sie gewonnen hätte, aber Raziel wollte den zweiten Planeten haben, und sei es nur, weil er so groß und hell war.
Die abstrakte Qualität, die der Weihnachtswundermission innewohnte, war nicht sein Fall. »Fahre auf die Erde hernieder, finde ein Kind, dessen Weihnachtswunsch allein durch göttliche Intervention zu erfüllen ist, dann wird man dir die Macht gewähren, diesen Wunsch auch zu erfüllen.« Das waren drei Teile. Hätte man den Job nicht auch drei Engeln geben müssen? Brauchte man nicht einen Supervisor? Raziel wünschte, er könnte die Aufgabe gegen die Zerstörung einer Stadt eintauschen. Das war simpel. Man suchte die Stadt, man brachte die Leute um, man machte sämtliche Gebäude dem Erdboden gleich, und selbst wenn man es total vermasselte, konnte man die Überlebenden in den Bergen auftreiben und mit dem Schwert erschlagen, was Raziel im Grunde Spaß machte. Es sei denn natürlich, man zerstörte die falsche Stadt, aber das war ihm fast noch nie passiert. Zweimal erst. Damals waren die Städte sowieso nicht so groß. Gerade genug Leute, dass man damit zwei kapitale Wal-Marts voll kriegte. Also, das wäre doch mal eine Mission, dachte der Engel: »Raziel! Geh hinfort ins Land und verwüste zwei kapitale Wal-Marts, töte, bis das Blut aus den Sonderangeboten quillt und die Gebäude selbst nur noch Schutt und Asche sind – und steck dir ein paar Snickers ein.«
Ein im Wind schwankender Baum knickte ab, was wie ein Kanonenschuss klang, und der Engel schreckte aus seinen Träumen auf. Er musste dieses Wunder hinter sich bringen und verschwinden. Durch den Regen sah er, dass die ersten Leute an der kleinen Kirche eintrafen, sich durch Wind und Regen kämpften, und die Lichter flackerten, da die Party bereits begann. Es gibt keinen Weg zurück, dachte der Engel. Er würde improvisieren müssen.
Er hob die Arme seitlich, und sein schwarzer Mantel flatterte hinter ihm im Wind, so dass man die Spitzen seiner Flügel sehen konnte, die er darunter zusammengefaltet hatte. Mit seiner allerbesten Verkündigungsstimme rief er seinen Spruch: »Lasst ihn, der hier liegt, von den Toten auferstehen!« Er machte eine Handbewegung, die mehr oder weniger die ganze Gegend mit einbezog. »Lasst ihn, der nicht mehr lebt, nun wieder leben. Erhebe dich an diesem Weihnachtsfest aus deinem Grabe!« Raziel betrachtete das halb gegessene Snickers in seiner Hand und merkte, dass er vielleicht etwas konkreter werden sollte. »Erhebe dich aus deinem Grab! Feiere! Lass die Sau raus!«
Nichts. Absolut nichts passierte.
So, sagte der Engel zu sich selbst. Er warf sich den Rest des Snickers in den Mund und wischte die Hände an seinem Mantel ab. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und er konnte ein Stück weit in den Wald hineinsehen. Nichts geschah.
»Es ist mein Ernst!«, sagte er mit seiner mächtigen, Furcht einflößenden Engelsstimme.
Nichts. Absolut gar nichts. Nasse Kiefernnadeln, etwas Wind, Bäume schwankten hin und her, Regen. Kein Wunder.
»Siehe!«, rief der Engel. »Denn ich mache wirklich keine Witze!«
In diesem Moment kam eine gewaltige Windbö auf, und eine weitere Kiefer brach und fiel, verfehlte den Engel um etwa einen Meter.
»Na also. Es wird nur etwas dauern.«
Er spazierte aus dem Wald hinaus und die Worchester Street hinunter in den Ort.
» Wow, ich sterbe vor Hunger « , sagte Marty am Morgen – total tot und ohne Werbung.
»Ich weiß « , sagte Bess Leander – vergiftet, aber vergnügt.
»Mir ist plötzlich so sonderbar zumute. Hungrig und noch etwas. So habe ich mich noch nie gefühlt. «
» Oh, meine Liebe « , sagte Esther, die Lehrerin, »mit einem Mal kann ich nur noch an Gehirne denken. «
» Wie sieht’s bei dir aus, Kleiner? « , fragte Marty am Morgen.
» Denkst du auch an Gehirne? «
» Yeah « , sagte Jimmy Antalvo. » Ich könnte was zu essen vertragen. «
Zum Glück gibt es kein Kapitel 13
Nur dieses Weihnachtsfotoalbum
Sieht man sich Familienfotos näher an, bekommt man bei einem
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