Der Törichte Engel
Aufmerksamkeit einer jungen Frau rechts von ihm zugewandt hatte, die einen tief ausgeschnittenen, roten Sweater trug und den ganzen Abend schon von einem Hocker zum nächsten gewandert war, weil sie darauf wartete, dass sich jemand mit ihr unterhielt.
»Hi«, sagte Gabe zum Dekolleté der Frau. »Ich habe keinerlei zwischenmenschliche Erfahrung und besitze auch als Mann keine Qualitäten, mit denen ich das wettmachen könnte.«
»Geht mir genauso«, sagte Tucker Case vom Hocker auf der anderen Seite der Frau im roten Sweater. »Sagen Ihnen die Leute auch ständig, dass Sie ein Psychopath sind? Ich hasse das.«
Unter mehreren Schichten von Arglist und Beredsamkeit war Tucker Case in Wahrheit ziemlich mitgenommen, nachdem Lena Marquez mit ihm Schluss gemacht hatte. Nun war es ja nicht so, als wäre sie in den zwei Tagen, in denen er mit ihr zusammen gewesen war, Teil seines Lebens geworden, aber sie hatte so etwas wie Hoffnung geweckt. Und wie Buddha sagte: »Hoffnung ist nur ein anderes Gesicht des Begehrens. Und Begehren ist echt scheiße.« Er war unter Leute gegangen, auf der Suche nach Gesellschaft, die ihm helfen sollte, seine Enttäuschung zu lindern. Früher hätte er einfach die erstbeste Frau mitgenommen, die ihm über den Weg lief, aber in seiner Zeit als männliche Schlampe war er einsamer als je zuvor gewesen. Auf diesem schlüpfrigen Pfad wollte er nicht wieder wandeln.
»Also …«, sagte Tuck zu Gabe. »Hat man dich gerade sitzen lassen?«
»Sie hat mich verarscht«, erwiderte Gabe. »Sie hat mir das Herz aus dem Leib gerissen. Satan, dein Name sei Frau!«
»Red gar nicht erst mit ihm«, sagte Theo, nahm Gabe bei der Schulter und versuchte glücklos, ihn von seinem Barhocker zu zerren. »Der Typ taugt nichts.«
Die junge Frau, die zwischen Tuck und Gabe saß, blickte vom einen zum anderen, dann zu Theo, dann auf ihre Brüste, dann sah sie die Männer an, als wollte sie sagen: Seid ihr eigentlich blind? Den ganzen Abend sitze ich hier schon mit diesen Dingern da, und ihr ignoriert mich einfach.
Tucker Case ignorierte sie tatsächlich – na ja, abgesehen davon, dass er ihre Pulliwummis inspizierte, während er mit Gabe und Theo sprach. »Hören Sie, Constable, vielleicht habe ich Sie einfach auf dem falschen Fuß erwischt …«
»Auf dem falschen Fuß?« Theos Stimme brach beinahe. So aufgebracht er auch sein mochte, so schien es doch, als unterhielte er sich mit den Brüsten der Frau im roten Sweater und nicht so sehr mit Tucker Case, der gleich dahinter saß. »Sie haben mir gedroht.«
»Hat er?«, sagte Gabe und versuchte, einen besseren Blick in den roten Sweater zu werfen. »Das ist ’ne harte Nummer, Mann. Theo ist gerade zu Hause rausgeflogen.«
»Kann man es fassen, dass Männer in unserem Alter noch so tief fallen können?«, sagte Tuck zu Theo und blickte vom Dekolleté auf, um seine Aufrichtigkeit zu demonstrieren. Er hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Erpressung, aber manchmal musste man gewisse Unannehmlichkeiten auf sich nehmen – so wie er Lena mit der Leiche geholfen hatte –, und da er Pilot war und ein Mann der Tat, tat er es eben.
»Was meinen Sie?«, fragte Theo.
»Nun, Lena und ich, wir haben uns getrennt, Constable. Kurz nach unserem Gespräch heute früh.«.
»Wirklich?« Jetzt blickte Theo von den wollenen Hügeln der Wollust auf.
»Wirklich«, sagte Tuck. »Und es tut mir Leid, wie alles so gelaufen ist.«
»Das ändert aber nicht wirklich was, oder?«
»Würde es helfen, wenn ich Ihnen sage, dass ich diesem angeblichen Dale Pearson absolut nichts zuleide getan habe, ebenso wenig wie Lena?«
»Ich glaube nicht, dass er angeblich war«, lallte Gabe die Brüste an. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass er als Dale Pearson bestätigt wurde.«
»Wie dem auch sei«, sagte Tuck. »Würde das etwas ändern? Würden Sie es glauben?«
Theo antwortete nicht gleich, sondern schien die Antwort des Dekolleté-Orakels abzuwarten. Als er Tucker wieder ansah, sagte er: »Ja, ich glaube Ihnen.«
Tuck prustete beinahe das Ginger Ale aus, das er gerade trank. Als er wieder bei sich war, sagte er: »Wow, Sie sind vielleicht ein beschissener Gesetzeshüter. Sie können doch nicht dem erstbesten Fremden glauben, der Ihnen am Tresen irgendwas erzählt.« Tuck war nicht daran gewöhnt, dass ihm jemand glaubte und seine Geschichten für bare Münze nahm …
»Hey, hey, hey«, sagte Gabe. »Das ist aber nicht nett …«
»Ihr Typen könnt mich mal!«, sagte die Frau im
Weitere Kostenlose Bücher