Der tolle Nick
nicht. Und das war auch nur zu verständlich.
Der großspurige Joshua von einst und der glattrasierte nüchtern blickende Mann, den sie nun vor sich sah, glichen einander kaum. Er trug einen abgetragenen Rock, wie ein kleiner armer Beamter, sein prachtvoller Schnurrbart war verschwunden, und auch den Bart, den Sir Nicholas als pique de vent bezeichnet hatte, hatte er abrasiert. Sein ganzes großsprecherisches Gehabe war verschwunden. Geblieben war ein schwächliches, unbedeutendes Männchen, das der Dame in gebührendem Abstand in die Kirche folgte, wo sie eine leere Bank in den hinteren Reihen wählte. Als sie Joshua bemerkte, wandte sie den Kopf. Sie war nahe daran, die Belästigung abzuwehren, als sie seine funkelnden Augen sah. Er blickte ihr ins Gesicht, legte den Finger an die Lippen und näherte sich ihr vorsichtig.
Sie erkannte ihn nicht und erstarrte. Ihr Blick hätte ihn aus der Fassung bringen können. Er wußte nicht, was er tun sollte. Eine weitere Annäherung würde die Zofe aus der Andacht reißen oder die Dame zu einem Rückzug veranlassen. Er blickte sie flehend an, und sie wandte sich ihm zu. Er schaute sich kurz um, und als er sah, daß die wenigen in der Kirche anwesenden Menschen im Gebet versunken waren, neigte er den Kopf und flüsterte: »Unverzagt!«
Sie starrte ihn an. Sie hatte das Wort gehört, er zwinkerte ihr nun zu. Dann senkte er wieder den Kopf. Sie ließ ihr Gebetbuch fallen, beugte sich vornüber, um es aufzuheben, und rückte dabei näher an ihn heran. Er gab vor, Gebete zu murmeln und ließ die Perlen eines Rosenkranzes durch seine Finger gleiten. »Kennt Ihr mich nicht? Ich bin Joshua Dimmock. Ich habe mir den Bart abrasiert. Vorsicht! Vorsicht!«
Sie warf ihm einen Blick zu und sah in seine klugen grauen Augen. Jetzt hatte sie ihn erkannt. Sie neigte den Kopf und verbarg ihr Gesicht in den Händen. »Du? Was weißt du?«
»Er ist in Gewahrsam. Nur Mut, Señorita! Ich bin gekommen, um zu erfahren, was sie mit Euch vorhaben. Ihr reist am Dienstag?«
»Samstag«, flüsterte sie zurück. »Morgen. Hat er dich geschickt? Hast du mit ihm gesprochen?«
»Nein. Laßt den Mut nicht sinken und habt Vertrauen, Mylady. Er wird freikommen.«
Sie seufzte tief. »Ich habe ihn in den Tod geführt!«
Im tiefsten Inneren gab Joshua ihr recht. »Daß sie eigentlich auch mich dorthin getrieben hat, ist ihr sichtlich nicht aufgefallen. Aber ich will ja nicht kleinlich sein«, sagte er später zu sich selbst.
Trotz seiner inneren Überzeugung erschien es ihm unter seiner Würde, die Lady in dem Glauben zu lassen, daß sie an der Eskapade Schuld trüge. Seine geflüsterte Antwort war ernst: »Mein Herr läßt sich durch nichts anderes leiten als durch seinen eigenen Willen. Das ist nun einmal so. Ich weiß jetzt, was mit Euch geschieht. Jetzt muß ich noch mit Sir Nicholas sprechen.«
Sie blickte aufgeregt zu ihm hinüber. »Ist das so einfach? Kannst du das?«
»Einfach wird es nicht sein«, sagte Joshua betrübt. »Aber es wird mir sicherlich gelingen. Seid frohen Mutes und vertraut mir und meinem Herrn. Schluß jetzt. Es ist zu gefährlich.« Er rückte von ihr ab, und sie gab weiter vor, in inniges Gebet versunken zu sein.
Das Gespräch mit Joshua hatte sie auf seltsame Weise getröstet. Er hatte mit so großer Überzeugung gesprochen, obwohl ihm innerlich dabei ganz anders zumute gewesen war, doch durfte sie das nicht bemerken. Sie würde natürlich noch immer ihre Zweifel haben, aber nun konnte sie hoffen, denn wenn Joshua, der seinen Herrn so gut kannte, frohen Mutes war, konnte auch sie weiter vertrauen. Er war vielleicht nicht ganz so hoffnungsvoll, wie er zu sein vorgegeben hatte, aber für einen ängstlichen Menschen, für den er sich selbst hielt, war er erstaunlich gelassen. Er wohnte nun in einer verwahrlosten Taverne in einem der schlechteren Stadtviertel. Wenn er nur seinen Herrn sprechen könnte! Sollte ihm dies gelingen, dann hätte er nur noch einen Grund zur Trauer, und das war der Verlust seines Schnurrbartes.
»Ach«, sagte er zu sich selbst mit düsterer Stimme. »Ich, der ich eine Persönlichkeit war, sehe nun aus wie irgendein kümmerlicher Schreiberling.« Er spuckte in das Rinnsal. »Aber was soll’s! Es ist nutzlos, den Verlust meines Schnurrbartes zu beklagen. Er mußte eben fallen. Den Verlust meines Bartes ertrage ich leichter. Er ist dem Krieg zum Opfer gefallen. Der Schnurrbart hingegen, das ist eine viel ernstere Sache. Ich trug ihn stets mit großem
Weitere Kostenlose Bücher