Der tolle Nick
Flasche, mein lieber Freund. Und nehmt diese hier weg.«
Der ältere Diener blickte unfreundlich auf seinen Untergebenen. »Du Tölpel! Nimm die Flasche! Wie kannst du dem Señor nur schlechten Wein bringen! Ich bitte um Vergebung, Señor. Es ist ein Mißverständnis. Den Becher auch, du Narr! Nimm ihn mit und bringe einen neuen!« Er trieb den widerstrebenden Kameraden zur Tür.
»Du hast doch den Wein ausgewählt!« murmelte der Unglücksrabe.
»Und du hast die Flaschen vertauscht!« sagte der andere rasch. »Geh jetzt endlich, geh jetzt, oder willst du, daß das Abendessen des Herrn kalt wird?«
»Du hast den Schlüssel«, meinte der Untergebene. »Ich habe die Flaschen sicher nicht vertauscht. Du selbst …«
»Ach Gott, das ist doch gleichgültig«, unterbrach ihn Sir Nicholas. »Mir ist es völlig gleichgültig, wer den Fehler gemacht hat, wenn ich nur eine andere Flasche Wein bekomme!«
»Sofort, Señor«, versicherte sein Gefängniswärter, der auf den Befehlston unwillkürlich reagierte. Er sperrte die Tür auf, schob seinen Kameraden hinaus, schlug die Tür hinter ihm wieder zu und versperrte sie erneut.
Sir Nicholas senkte die Lider, um das freudige Aufblitzen seiner Augen zu verbergen. Der Soldat hatte den Schlüssel nicht mitgenommen.
»Deckt das Essen doch wieder zu, mein Freund«, sagte Sir Nicholas.
»Gewiß, Señor.« Der Mann ging an den Tisch und wollte tun, wie ihm geheißen.
Sir Nicholas hielt in seinen Bewegungen inne, als sich der Soldat über den Tisch beugte und nach dem Deckel griff. Als er die Hand zurückzog, warf sich Beauvallet lautlos und mit aller Kraft auf ihn. Bevor der Soldat wußte, wie ihm geschah, wurde er auf das hinter ihm stehende Bett geschleudert. Sir Nicholas hinderte ihn daran, nach seinem Dolch zu greifen. Der Mann konnte keinen Laut von sich geben und versuchte vergeblich, die stahlgleichen Finger, die seinen Hals umschlossen, zu lösen. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er Sir Nicholas ins Gesicht. Das letzte, das er noch sah, bevor er das Bewußtsein verlor, waren zwei hellblaue Augen und das zornige Lächeln auf Sir Nicholas’ Lippen.
Sir Nicholas ließ ihn los, ging an den Tisch zurück, nahm eine Serviette und band sie dem Bewußtlosen um den Mund. Dann zog er den Dolch des Soldaten aus der Scheide und hob die Schlüssel auf, die zu Boden gefallen waren. Den Dolch in seiner Rechten, ging er mit festem Schritt auf die Tür zu, steckte den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn um und öffnete die Tür.
Im Flur stand ein Soldat an seine Hellebarde gelehnt. Instinktiv mußte er die Gefahr geahnt haben, denn als sich die Tür öffnete, wandte er den Kopf, um zu sehen, was hier vorging. Er hatte nur noch Zeit, einen Schreckensruf auszustoßen, der Beauvallet einen Fluch entlockte. Dann drang der Dolch zwischen Hals und Schulter, und der Mann sank in sich zusammen.
Dieser eine Schrei, der die Stille durchbrochen hatte, konnte alles vernichten. Ein Ruf ertönte, und von der Mittelstiege her kam ein Mann gelaufen.
Sir Nicholas zog den Dolch aus der Wunde und verschwand blitzschnell zur Südseite des Gebäudes. Er hatte eigentlich die Absicht gehabt, auf diesem Weg in die Unterkunft des Gouverneurs zu entkommen, aber nun, wo der Alarm gegeben war und man ihn bereits verfolgte, war daran nicht zu denken. Er lief mit großen Schritten die Wendeltreppe in der Ecke des Ganges hinauf und fand sich in einem Flur, der jenem im unteren Stockwerk ähnlich war, dessen Arkaden jedoch nicht offen, sondern zugemauert waren. Am oberen Stiegenabschnitt war eine Fackel an der Wand, die schwaches Licht verströmte. Eine weitere Fackel fand sich in der Mitte des Ganges. Im unteren Stockwerk waren die Geräusche rascher Schritte, Rufe und das Klirren von Speeren zu hören. Sir Nicholas blickte sich rasch um und entdeckte eine schwere Eichentruhe an der Wand. Er eilte auf sie zu, hob sie an, und schon donnerte sie die Stiegen hinunter und traf den ersten der Männer, die die Stiegen heraufeilten. Die schwere Truhe auf der schmalen Treppe bildete ein unüberwindliches Hindernis. Unter Flüchen und Getöse taumelte der erste der Verfolger zurück, in die Arme des hinter ihm Kommenden, der unter dem plötzlichen Aufprall ebenfalls das Gleichgewicht verlor und nach hinten stürzte.
Sir Nicholas lachte über diesen Anblick und wandte sich ab, als er sah, daß sich die Truhe fest zwischen den Wänden verklemmt hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er nun tun sollte und dachte
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