Der tolle Nick
einem Wandschrank. Dem Fenster gegenüber befand sich eine Tür. Sir Nicholas ging auf sie zu, als er plötzlich Schritte vernahm und eine Hand sich an die Türklinke legte. Er sprang zurück und verbarg sich hinter den Bettvorhängen.
Die Tür öffnete sich. Irgend jemand trat mit raschem Schritt in den Raum und ging an den Tisch. Eine Schublade wurde herausgezogen, man hörte das Rascheln von Papier. Sir Nicholas schob den Vorhang ein wenig auseinander und sah einen Mann, der ihm den Rücken zuwandte. Er war mit einem Mantel und einem großen Federhut bekleidet. An den Falten des Mantels war zu erkennen, daß er auch einen Degen trug.
Katzenartig schlich sich Sir Nicholas Zentimenter um Zentimeter an ihn heran. Plötzlich knarrte eine Holzdiele unter seinen Füßen. Der Mann im Mantel wandte sich rasch um und wurde im selben Augenblick von Beauvallets Faust getroffen. Der Mann sank lautlos zu Boden, und Sir Nicholas erkannte, daß er niemanden anderen außer Gefecht gesetzt hatte als Don Cristobal de Porres, den Gouverneur der Garde persönlich.
»Du meine Güte, mein ehrenwerter Gefängniswärter!« sagte Sir Nicholas und stieg über den am Boden hingestreckten Porres. Er schloß die Tür, warf einen kurzen Blick auf den am Boden Liegenden und trat ans Bett. Ein Auge stets auf den Gouverneur gerichtet, schnitt er mit seinem Dolch schmale Streifen aus den Brokatvorhängen und kniete sich dann neben den Bewußtlosen.
»Es tut mir wirklich leid, mein teurer Freund«, sagte er und stopfte einen Stoffstreifen zwischen die schlaffen Lippen. Um den Knebel zu befestigen, band er einen weiteren Streifen um den Kopf des Gouverneurs. Er löste die Spange des Mantels, und sein Blick fiel auf das Goldene Vlies, das der Bewußtlose trug. Er öffnete die Kette und lachte kurz auf. »Mein lieber Freund, ich glaube, das wird mir sehr gut stehen! Mißgönnt es mir nicht!« Er legte die Kette um seine Schultern, löste das Gehenk des Degens und machte sich daran, Arme und Beine des Gouverneurs zu fesseln. Als er den letzten Knoten festgezogen hatte, öffnete Don Cristobal die Augen. Er starrte Beauvallet an, wußte zunächst nicht, wie ihm geschah, doch als ihm die Erinnerung wiederkehrte, blickte er ihn wütend an.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Sir Nicholas. »Es tut mir auch wirklich leid, Señor. Aber Ihr werdet zugeben müssen, daß ich mich in einer Notlage befinde.« Er zwinkerte ihm zu. »Ein schlechter Dank für all Eure Güte, Don Cristobal. Es wäre mir lieber, wenn Ihr nicht glauben würdet, daß El Beauvallet ein undankbarer Schurke ist.« Er sah, wie sich der Blick des Gouverneurs verfinsterte, und lachte: »O ja, Señor, ich bin El Beauvallet.« Während er sprach, schnallte er den Degen um. »Señor, ich muß Euch beiseite schaffen. Behaltet meinen Degen anstelle des Euren. Es ist eine gute Klinge, und Ihr könnt später mit Recht behaupten, der einzige Mann zu sein, der Nick Beauvallet etwas gegen seinen Willen weggenommen hat. Wenn es Euch nun beliebt, Señor.« Er hatte die Tür des Schrankes geöffnet und Don Cristobal hineingeschoben. Dann schloß er die Schranktür wieder, nahm den Mantel vom Boden auf, legte ihn um seine Schultern und hüllte sich darin ein. Er hob das auf dem Boden liegende Taschentuch des Gouverneurs auf, zog den breitkrempigen Hut tief über die Augen und dankte Gott, daß sein Bart dem Don Cristobal’ sehr ähnlich war.
Als er die Hand an die Klinke legte, hörte er ein Kratzen an der Tür und eine Stimme: »Señor, die Kutsche wartet!«
Die kommt mir gerade recht! dachte Sir Nicholas. Gebe Gott, daß ich es durchstehe. Glücklicherweise ist das Licht hinter mir. Vorwärts, El Beauvallet! Er öffnete die Tür und trat ruhig auf den Gang hinaus.
Ein Diener stand vor ihm. In der schwachen Beleuchtung des Ganges konnte er ihn kaum ausnehmen und hoffte, daß es dem Mann ebenso ging. Er schloß die Tür hinter sich und bedeutete dem Diener voranzugehen. Dieser verneigte sich und folgte seinem Befehl.
Sie gingen den Korridor entlang, bis sie zu einer Treppe kamen. Der Diener trat zur Seite und ließ Sir Nicholas vorbeigehen, worauf dieser ohne große Eile die Stiegen hinunterschritt und die Halle durchquerte.
Die Eingangstür wurde von einem Lakaien offengehalten, der es nicht fassen konnte, seinen Herrn so ruhig zu sehen. Er wagte zu sagen: »Señor – der Leutnant ist soeben in die Bibliothek gelaufen, um Euch zu suchen. Ihr habt es noch nicht gehört, Señor: Der Gefangene ist
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