Der Tomorrow-Code - Thriller
Vorstellungskraft.
»Komm schon, Tane«, sagte sie. »Wir brauchen dich – du bist der kreative Querdenker hier.«
Tane starrte gedankenverloren in die ewig gleiche Monotonie des Ozeans hinaus. Es war schließlich nicht leicht, kreativ und unkonventionell zu denken, wenn man geradezu irre Kopfschmerzen hatte, und genau das war bei ihm der Fall. Er hatte eine schlaflose Nacht hinter sich, voller Sorge über ihren Plan, in das Labor einzubrechen. Das war gesetzeswidrig. Ein Verbrechen. Er hatte noch nie im Leben etwas Verbotenes getan (wenn man von einer Packung Kaugummi absah, die er sich im Alter von sieben Jahren im Kiosk an der Ecke »geborgt« hatte). Er hatte sich in seiner winzigen Koje hin und her gewälzt, und jetzt pochte sein Kopf genau im Rhythmus des stampfenden Motors. Querdenken, wahrhaftig.
Und er war nicht der Einzige, der den Stress dieser seltsamen Mission zu spüren bekam. Er sah die Besorgnis in den Gesichtern der anderen, vor allem in Rebeccas Gesicht. Sie konnte es sich wirklich nicht leisten, ins Gefängnis zu gehen. Wer konnte das schon? Aber Rebecca am wenigsten. Und doch mussten sie ihren Plan ausführen. Welche Folgen hätte es, wenn sie es taten? Und welche Folgen, wenn sie es nicht taten?
Hier im offenen Meer gab es nicht viel zu beobachten. Gelegentlich zog ein Schwarm Fische vorbei oder ein neugieriger Hai linste durch die Bullaugen. In der Nähe der Poor-Knights-Inseln befand sich ein weltbekanntes Tauchrevier, das für sein klares Wasser und farbenprächtiges Meeresleben berühmt war – und weil dort das Wrack der Marinefregatte
Waikato
lag. Aber bis dorthin hatten sie noch einen langen Weg vor sich, deshalb musste er sich vorläufig mit dem Anblick der blaugrünen Unendlichkeit zufrieden geben.
Über den Tellerrand hinausdenken. Quer denken. Ziemlich abgedroschene Phrasen, dachte er. Irgendwann hatte er mal eine alte Denksportaufgabe gesehen, neun Punkte, die in Dreierreihen zu einem Quadrat angeordnet waren. Verbinde alle Punkte durch vier gerade Linien, ohne den Stift ein einziges Mal abzusetzen. Den meisten logisch denkenden Menschen erschien die Aufgabe unmöglich, aber Querdenker fanden die Lösung ziemlich schnell. Man musste nur die Linien über das Quadrat hinaus verlängern. Außerhalb des normalen Schemas.
Tane skizzierte das Rätsel auf einem Schreibblock und zeichnete auch die Lösung ein.
Etwas an diesem Ausdruck – über den Tellerrand hinausdenken – nagte an seiner Erinnerung. Er zwang sich, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Der tote Fisch in den Plastikringen des Sechserpacks fiel ihm wieder ein, aber er schüttelte die Erinnerung schnell wieder ab. Ein paar andereGedanken schossen ihm durch den Kopf, die sich gegenseitig verdrängten oder überlagerten – Fatboys Hand auf Rebeccas Schulter, der nervöse Anwalt, der geistesabwesend an seinem Schnurrbart zupfte, die Fächerschwanzfamilie, so furchtlos und zutraulich in ihrem zerbrechlichen Nest, das Schachspiel, das er bereits für Rebecca als Weihnachtsgeschenk gekauft hatte. Und wie es sonst meistens geschah, trieb die Antwort in sein Bewusstsein und war schon eine Weile dort, bevor sie ihm klar wurde.
Das Schachspiel. Was hatte es mit dem Tellerrand zu tun? Nichts. Ein Schachspiel bestand normalerweise aus schwarzen und weißen Figuren und schwarzen und weißen Vierecken auf einem Brett. Vierecke. Das Brett selbst war ein Viereck, ein Quadrat, das wiederum aus kleineren Quadraten bestand. Natürlich hatte es einen Rand, wie ein Teller, aber ...
»Das Schachspiel«, sagte er laut.
Rebecca blickte durch die Druckausgleichstür herüber. »Welches Schachspiel?«
»Irgendeins.«
Fatboy lag auf einer der Kojen, jetzt stand er auf und setzte sich auf den Sitz neben Tane. »Mach weiter«, forderte er Tane auf. Er trug wieder einmal seinen Cowboyhut, eine ziemlich einfältige Kopfbedeckung in einem U-Boot , fand Tane.
»Ein Schachbrett besteht doch aus acht mal acht Feldern, nicht wahr? Die Hälfte schwarz, die andere Hälfte weiß.«
»Ja«, sagte Rebecca nachdenklich. Sie ist schon auf dem Weg, dachte Tane.
»Nehmen wir mal an, wir hätten ein Schachbrett von tausend mal tausend Feldern. Das wären dann tausend im Quadrat.« Er nahm einen Notizblock und schrieb die Zahl auf: 1000 2 . »Jetzt nehmen wir an, dass wir in der erstenZeile nicht abwechselnd schwarz und weiß haben, sondern dass die ersten achtzig weiß sind und die nächsten ... wie war das noch mal?« – er
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