Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
mit einem Lächeln in die Seite, dann war sie in der Dunkelheit verschwunden.
Simon sah ihr kurz nach, bevor er sich umdrehte und hinab zum Hafen lief. Er kannte den Weg nicht, doch solange die Gasse bergab ging, war er richtig.
Am Hafen war es ruhig, die Menschen waren hinauf zum Feuer gelaufen. Niemand achtete auf ihn. Seine Mutter war nirgendwo zu sehen. Simon stieg durch das Fenster in das verlassene Haus und kletterte die Treppen hinauf. Der Mond schien durch die Fensteröffnungen und beleuchtete die Stufen. Hoffentlich, dachte Simon, war Tim seinem Vorschlag gefolgt und hierhergekommen.
Er sah seinen Bruder sofort: Tim steckte fluchend fest, er war auf dem Weg zum Versteck durch eine der Bohlen gebrochen. Maria war bei ihm, sie versuchte vergeblich, Tim aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Simon musste kichern. Er hatte vergessen, Tim von dem morschen Dachboden zu erzählen.
»Mann, ist das ein Rattenloch hier!« Tim war sauer.
Simon half ihm, das Bein aus dem Dielenboden zu ziehen. Maria stieg bereits durch die Öffnung in der Wand. Auch Tim wollte in das Versteck klettern.
Simon hielt ihn zurück.
»Was ist?«
»Ihr könnt nicht hierbleiben.«
»Und warum?«
Simon zögerte. Wie sollte er erklären, was alles passiert war? Das war unmöglich, dazu hatten sie nicht die Zeit, anderes war wichtiger. »Bitte, kümmer dich um Mama. Sie kommt zum Hafen. Eines der Boote wird euch mitnehmen.«
»Was für ein Boot? Und warum sollten wir hier weg?«
»Tu es einfach. Wenn ich es Mama selbst sage, lässt sie mich nicht mehr fort. Aber das geht nicht, ich muss zu Ira. Ich komme so schnell ich kann nach.«
Ein Schrei ertönte, Maria war an ein Dachfenster getreten und hatte das Feuer entdeckt. Tim eilte zu ihr und sah so wie sie zum ersten Mal die Feuerwand. Schockiert kam er zu Simon zurück. »Hast du was damit zu tun?«
»Ich erklär dir alles später. Kümmer dich um Mama! Versprochen?«
Tim nickte. Einen Augenblick standen sie sich gegenüber und sahen sich an. Simon hob seine Hand, Tim nahm sie und zog Simon an sich. Sie umarmten sich. Das hatten sie lange nicht mehr getan. Doch es war gut, auch wenn es Simon ein wenig traurig machte. Er wusste nicht, warum.
»Pass auf dich auf, du Penner.« Tim grinste.
Simon grinste zurück. »Du auch, du Pflaume.«
Er winkte Maria zu, dann drehte er sich um und ging den Weg zurück zur Treppe. Noch einmal sah er zurück.
Tim schaute nachdenklich zu ihm. Grüßend hob sein Bruder zum Abschied die Hand.
44
Die ersten Dorfbewohner kamen gerade zum Hafen, als Simon durch die leere Fensterhöhle auf die Straße kletterte. Er huschte an der Häuserwand entlang, ohne dass ihn jemand bemerkte oder gar aufhielt, und lief die Straßen hinauf zu Iras Haus. Nach einer Weile erreichte er den Platz, an dem sie wohnte. Auch hier waren, so wie überall, die Menschen auf den Beinen, aufgeregte Stimmen schallten zwischen den Häusern hin und her.
Ira öffnete, als er klopfte, erleichtert zog sie ihn in die Halle. Die Tür fiel ins Schloss, es wurde still. Simon brauchte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit im Inneren des Hauses gewöhnt hatten; draußen auf der Straße war es hell gewesen, der Feuerschein leuchtete in die Straßen hinein.
Eine Hand schob sich in die seine, es war die von Ira. Dann sah er ihr Gesicht dicht vor dem seinen. Simons Herz klopfte. Sie schaute ihn stumm an, so als wolle sie seine Gedanken lesen und seine Gefühle ergründen. Dann zog sie ihn an sich und umarmte ihn. Simon genoss den Moment.
Ein leises Kratzen näherte sich, es war das Geräusch von Tatzen, die über Steinboden liefen. Zwei Augen leuchteten in der Dunkelheit.
»Ashakida!« Simon war froh, die Leopardin zu sehen.
Ira hatte sich von ihm gelöst, und für einen Augenblick schien es, als sei es ihr peinlich, Simon umarmt zu haben. »Kommt!« Sie drehte sich um und rannte zur Treppe. »Lasst uns nachsehen, was im Dorf passiert.«
Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinauf und kletterten auf das Dach.
Der Wind hatte nachgelassen, doch er blies immer noch stetig und hielt den Qualm aus den Straßen fern. Auch die Feuerwand umschloss noch immer das Dorf von drei Seiten. Doch nun war auch die dem Meer zugewandte Seite des Ortes von Licht erhellt: Am alten Hafen herrschte reger Betrieb, Scheinwerfer brannten, Gestalten liefen hin und her. Die Dorfbewohner hatten ihre alten Fischerboote aus den Lagerschuppen geholt und ins Wasser gelassen, mit tuckernden Motoren lagen die
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