Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
Fingerspitzen über den Stein. Er stutzte. Seine Finger hatten etwas ertastet – der Stein war nicht glatt, sondern rau. Simon ging zum Licht und untersuchte ihn genauer. Mit den Augen betrachtet, wirkte der eingefasste Stein glatt und unauffällig, Simon konnte keine Unebenheit auf der Oberfläche erkennen. Doch wenn er die Augen schloss und mit der Fingerspitze über den Stein strich, spürte er feine Erhebungen und Linien, so als wäre dort ein Relief.
»Was ist?« Ira hatte bemerkt, dass Simon etwas entdeckt hatte. Auch Ashakida war aufmerksam geworden. Simon zeigte ihnen den Ring. Beide waren beeindruckt, dass der Ring etwas verbarg, was man zwar spüren, aber nicht sehen konnte.
»Wartet mal kurz.« Ira war eine Idee gekommen und sie rannte aus dem Zimmer. Kurze Zeit später kam sie mit einem Bogen Papier und einem Stempelkissen zurück. Sie legte den Bogen auf den Tisch. Auffordernd blickte sie Simon an. Er hatte ihr erstaunt zugesehen, nun begriff er, was sie vorhatte. Sie wollte, dass er den Ring wie einen Stempel benutzte – vielleicht konnten sie so erkennen, was für ein Relief auf dem Stein verborgen war.
Simon drückte den Ring erst in das Stempelkissen und dann auf das Papier. Langsam hob er ihn wieder ab. Ira nahm den Bogen und schaute ihn mit großen Augen an. Wortlos reichte sie ihn weiter. Auch Simon betrachtete den Abdruck auf dem Papier, und jetzt verstand er Iras Erstaunen. Auf dem Papierbogen war eine blühende Rose zu sehen, die vor einem Tor wuchs und es mit ihren Blättern, ihren Dornen, ihren Ästen versperrte. Es war das Bild, das auf der flachen Seite des Dorns eingraviert war – der Ring war das Gegenstück zu dem Metalldorn in der Tür. Auch Ashakida erkannte das Bild auf dem Papier.
Aufgeregt sah Simon die anderen an. Alle dachten dasselbe.
Simon ging zur Tür, er hob seine Hand und steckte den Ring vorsichtig auf den Metalldorn. Das unsichtbare Relief auf dem Stein glitt in die Gravur, Simon spürte einen Ruck. Der Ring war mit dem Dorn fest verbunden.
Er hatte den Schlüssel zum Weltentor entdeckt.
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Alle hielten den Atem an, als sie sahen, was passiert war. Vorsichtig rüttelte Simon an dem Ring. Er saß fest, als wären er und der Dorn aus einem Guss.
Zögernd wandte sich Simon zu den anderen um. Ira nickte ihm zu und Ashakida knurrte mutmachend. Auch Iras Oma war verstummt, sie starrte zu ihm. Niemand sagte ein Wort.
Simon holte tief Luft, dann drehte er behutsam den Ring, so als würde er ein Schloss aufschließen. Ein leises Knirschen war zu hören und der Dorn bewegte sich im Holz. Simons Herz klopfte. Vorsichtig drehte er weiter, bis er einen Widerstand spürte. Es klackte. Der Ring löste sich vom Dorn.
Simon trat einen Schritt zurück. Gespannt wartete er, was geschehen würde. Die anderen waren hinter ihn getreten, genauso aufgeregt wie er.
Plötzlich begann der Türrahmen zu zittern. Ein Knarren ertönte, so als ob sich weit entfernt eine schwere Tür öffnet. Dann war ein Rauschen zu hören, ein leises Säuseln, das schnell näher kam.
Simon wurde blass. »Vorsicht! Weg von der Tür!« Genauso hatte es sich angehört, als er unabsichtlich in der Scheune das Weltentor geöffnet hatte! Er sprang zur Seite und zerrte IrasOma mit sich. Schützend stellte er sich vor sie. Auch Ira, die neben Simon gestanden hatte, hechtete von der Tür fort. Ashakida sprang mit einem Satz hinter das Sofa.
Angespannt beobachteten sie, was geschah. Hatte Drhan hinter dem Weltentor gewartet und würde sein Atem sie erfassen?
Das Rauschen wurde lauter und lauter. Dann schoss ein Windstoß aus dem Türrahmen, er wirbelte durch den Raum und schleuderte alles, was nicht festgemacht war, in die Luft. Simon kniff die Augen zusammen. Doch anders als in der Scheune, war der Wind nicht kalt, und er war längst nicht so stark wie der Sturm, der dort gewütet hatte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann schlief der Wind ein. Es wurde still.
Vorsichtig öffnete Simon die Augen. Alles war ruhig, außer ihnen war niemand zu sehen. Doch der Türrahmen hatte sich verändert, er schien zu leuchten, ein leichtes Glimmen, das in der Luft flimmerte. Auch Simons Ring leuchtete.
Vorsichtig näherte Simon sich dem Türrahmen. Ira und Ashakida folgten ihm. Schemenhaft, als würde er im Raum schweben, war dort ein Gang zu erkennen, ein Tunnel, der in die Tiefe führte. Aber gleichzeitig sahen sie immer noch die geschlossene Tür zur Halle – es war, als hätte jemand zwei Bilder
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