Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
Augenblick erfasste ihn das Tor, etwas riss ihn mit sich, fort von Ira, fort von allem, was er kannte.
Simon schrie erneut. Dann verschwand er in der Tiefe des Raumes.
47
Stille.
Um ihn herum war es dunkel, ein absolutes Schwarz, so wie Simon es noch nie zuvor erlebt hatte. Er versuchte, mit den Händen seine Umgebung zu ertasten. Doch da waren keine Hände. Da war einfach nichts.
Was war geschehen? Wo war er?
Es war ein rasender Sturz gewesen, ein Fall in unendliche Tiefe. Irgendwo auf dem Weg hatte er sich aufgelöst: seine Arme, seine Beine, sein Rumpf, zuletzt sein Kopf. Sein Körper war fort. Er war nur noch ein Gedanke.
Simon hatte keine Angst, als er das begriff. Etwas in ihm wusste, dass es so sein musste und dass es in Ordnung war. Er wurde ruhig und wartete.
Dann kamen die Schmerzen.
Stück für Stück, Körperteil für Körperteil, kehrte Simon in seine Hülle zurück. Erst spürte er seine Füße und seine Beine. Dann merkte er, dass er mit seinem Rücken auf etwas Hartem lag. Er fühlte seine Arme, seine Hände, und auch in die Finger kehrte das Gefühl zurück, sie ertasteten kleine Steine. Zuletzt spürte er seinen Kopf. Der Schmerz pulsierte in ihm, im Takt seines Herzschlages. Er lebte.
Nach einer Weile ließ der Schmerz nach.
Vorsichtig öffnete Simon die Augen. Die Dunkelheit um ihn herum wurde heller, doch er erkannte nicht mehr als Schemen, es musste Nacht sein. Schwaches Mondlicht fiel auf eine rußgeschwärzte Mauer. Über ihm blinkten Sterne.
Simon setzte sich auf und sah sich um.
Er befand sich in einem Haus, vielmehr in den Resten davon, das Dach des Gebäudes fehlte, die Fensterhöhlen waren leer. Der Mond schien durch die Reste eines Dachstuhls. Darüber öffnete sich ein sternenbedeckter Himmel.
Ashakida war nirgendwo zu sehen.
Ein Lichtschein ließ Simon aufmerken. Gespannt drehte er sich um. Direkt hinter sich sah er die Reste einer Tür, sie war zerbrochen und hing schief in den Angeln. Der Rahmen der Tür jedoch war ganz, und er leuchtete in der Dunkelheit – das musste das Weltentor sein, durch das er gekommen war. Das Licht verblasste, es wurde immer schwächer. Simon kam es vor, als hörte er von weither ein Klacken, so als wäre eine Tür zugefallen. Im gleichen Augenblick erlosch das Leuchten. Das Weltentor war verschlossen.
Mühsam stand Simon auf. Er hatte das Gefühl, seinen Körper nicht ganz zu beherrschen, doch mit jeder Bewegung wurde es besser.
Wo war Ashakida? Der Türrahmen spendete kein Licht mehr, doch seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er im Mondschein nach ihr Ausschau halten konnte. Er fand sie ein Stück weiter hinter einem Mauervorsprung. Ashakida lag auf der Seite und hatte die Augengeschlossen. Sie jaulte leise, so wie er kehrte auch sie nur langsam und unter Schmerzen in ihren Körper zurück. Sie wurde ruhiger, lag schließlich entspannt da.
Sie hatte sich verändert. Zwar war sie immer noch ein Raubtier, doch ihr Körper erschien ihm schmaler als zuvor. Ihr Fell schimmerte hell. Simon erkannte ihr Gesicht, trotz der ungewohnten Fellzeichnung. Sie war in dieser Welt ein Schneeleopard.
Nach einer Weile schlug sie die Augen auf. Erleichtert sah sie ihn neben sich. »Es hat geklappt! Du bist durch das Tor gekommen!«
»Ja, ich schon. Aber Ira nicht.« Simon war wütend. »Du hast gewusst, dass sie nicht durch das Weltentor gehen kann, oder? Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich hatte Angst, dass du dich anders entscheidest.« Ashakida streckte sich vorsichtig, bevor sie sich auf ihre Pfoten stellte. Sie wankte leicht, auch sie hatte Probleme, ihre Bewegungen zu kontrollieren. Forschend sah sie ihn an und ihre Augen blitzten. »Sei ehrlich: Wenn ich dir das erzählt hätte, wärst du dann mit mir gekommen?«
Simon zögerte.
»Genau deshalb habe ich nichts gesagt. Ich musste dich retten, ich habe es deinem Großvater versprochen. Du musstest das Tor durchschreiten. Alles andere war nicht wichtig.«
Simon spürte erneut Wut in sich aufsteigen. »Du rettest mich und opferst Ira?«
Ashakida fauchte ärgerlich auf. »Ich opfere niemanden! Du hast Drhan in deine Welt gelassen! Schon vergessen?«
Simon starrte sie an, dann wandte er sich schweigend ab. Es schmerzte, was sie gesagt hatte, denn sie hatte recht.
Die Schneeleopardin betrachtete ihn nachdenklich. Sie ging ihm nach. »Tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun.«
Simon antwortete nicht.
»Ira kann sich retten«, versuchte sie ihn zu
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