Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
vergraben. Er zitterte am ganzen Körper. Die Tür war zugefallen, sein einziger Fluchtweg war versperrt. Was sollte er jetzt bloß tun?
Der Wagen fuhr nun ruhig und gleichmäßig, die Räder sirrten leise auf dem glatten Asphalt. Langsam beruhigte sich Simon wieder und das Zittern ließ nach.
Da hörte Simon ein leises Knarren, wie von einem Fensterladen, der sachte im Wind hin und her schwingt. Er hob den Kopf. Das Knarren kam von der Tür, von jenem Türflügel, den er aufgebrochen hatte und mit dem er aus dem Wagen geschwungen war.
Und dann sah er es: Die Tür bewegte sich.
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10
Simon hielt vor Aufregung die Luft an. Er dachte schon, dass er sich geirrt hatte, doch dann knarrte es erneut, und der Türflügel bewegte sich in seinen Scharnieren. Ein Band aus gleißendem Sonnenlicht blitzte in der Dunkelheit auf. Behutsam, als könne eine zu hastige Berührung das Schloss wieder verschließen, legte Simon seine Hand auf das rostige Metall und drückte den Spalt weiter auf.
Sie fuhren auf einer Autobahn oberhalb der Küste, die gut ausgebaute Straße schlängelte sich durch die verlassenen Vororte der Stadt. Simon kannte diese Strecke. Schon einmal war er hier entlanggefahren, in seiner Welt, gemeinsam mit seiner Mutter. Damals hatte ihn die Vorstadt beeindruckt. Die Straßen waren gefüllt und lebendig gewesen, voller Autos und Menschen. In dieser Welt jedoch waren die Straßen der Vorstadt menschenleer, und die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, wirkten wie ausgestorben. Der Geländewagen war das einzige Fahrzeug auf der Autobahn. Simon bedrückte der Anblick. Wo waren all die Menschen, die einst hier gewohnt hatten?
Ein Schlagloch schüttelte den Wagen durch und riss Simon aus seinen Gedanken. Die Zeit wurde knapp. Irgendwie musste es ihm gelingen, den Wagen unbemerkt zu verlassen.
Sachte drückte Simon die Tür weiter auf, wobei er darauf achtete, dass sie nicht im Seitenspiegel des Fahrers zu sehen war. Dann arretierte er den Türflügel mit einem Haken, der an dem Metall angebracht war. Jetzt konnte die Tür nicht wieder zufallen. Simon holte tief Luft und trat an die Türöffnung. Der Fahrtwind erfasste ihn und zerrte an seinen Haaren. Dicht unter ihm raste die Straße vorbei. Simon war flau im Magen. Ihn schützte kein Geländer, und er stellte sich vor, wie er durch die offene Tür stürzte und auf die Straße prallte. Eines war klar: Bei diesem Tempo war es unmöglich abzuspringen. Der Wagen musste stoppen oder wenigstens langsamer werden – solange sie fuhren, hatte er keine Chance zu entkommen.
Simon überlegte noch, was er tun konnte, als der Hüne plötzlich das Tempo verringerte. Der Motor jaulte auf, die Bremsen quietschten, Staub wirbelte in die Luft. Dann stand das Auto, eingehüllt in einer Wolke aus feinem Sand. Die Fahrertür öffnete sich und der Hüne stieg aus. Simon biss sich auf die Lippen: Würde er die offene Tür entdecken?
Sand knirschte, die Schritte des Hünen entfernten sich.
Simon lugte aus der Tür des Geländewagens. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Simon entdeckte in einiger Entfernung die Mauer, die das Zentrum der Stadt umgab. Zu seinem Erstaunen führte die Stadtmauer quer über die Straße – die Autobahn endete direkt vor der matt glänzenden Wand. Nun sah er auch den Hünen, er stand vor einem Tor, das sich in der Fläche geöffnet hatte, und sprach mit einem Soldaten. Simon erkannte sofort die graue Uniform. Der Soldat gehörte zu den Männern, die der Tower ausschickte. Simon konnte sich noch gut an seine erste Begegnung mit ihnen erinnern. Er war in seiner Welt zum Tower gefahren, gemeinsam mit Ira und ihren Freunden. Noch einmal wollte er den Soldaten nicht über den Weg laufen.
Eilig löste er den Haken, der den Türflügel festhielt, und kletterte aus der Box. So leise er konnte, drückte er die Tür ins Schloss. Dann kroch er unter den Wagen. Niemand bemerkte etwas.
Die Stimmen wurden lauter, der Hüne kam mit dem Soldaten zurück zum Wagen. Geistesgegenwärtig huschte Simon hinter eines der Räder. Die Tür zur Ladebox wurde geöffnet, das Knarren der Scharniere ließ die Blechhaut des Wagens erzittern. Ein aufgeregter Ruf ertönte.
Jetzt oder nie! Ohne sich umzusehen, verließ Simon sein Versteck und rannte quer über die Straße bis zu einer von trockenem Gestrüpp überwucherten Leitplanke. Eilig kroch er unter ihr hindurch und versteckte sich. Jeden Moment rechnete Simon damit, dass er entdeckt würde. Doch niemand setzte ihm nach, die
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