Der Tote am Lido
der Polizei. Die werden dafür ausgebildet, ausgerüstet und bezahlt.«
»Ich bin auch dafür ausgebildet, und wenn ich eine Geschichte produziere, werde ich auch bezahlt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht. Es geht um diesen Masochismus, den du mit dir rumträgst. Du meinst, du musst dafür büßen, dass deine Schwester …«
Jetzt wurde Lunau ungehalten. »Ich hätte dir nie davon erzählen sollen.«
»Es war gut, dass du mir davon erzählt hast. Ich rechne dir das hoch an. Und genau deshalb weiß ich, dass du damit aufhören musst.«
»Mit welchem Recht mischst du dich eigentlich in mein Leben ein? In deinem Leben existiere ich offiziell gar nicht.«
»Ich wusste nicht, dass du so viel Wert aufs Offizielle legst.«
10
Lunau schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer, von dem aus er den Eingang im Auge behalten konnte. Er schlief schlecht, wie immer wenn er sich an neue Geräusche gewöhnen musste. Der Kühlschrank sprang alle halbe Stunde an, brummte und schaltete sich mit einem Rumpeln wieder ab. Die Wanduhr tickte, manchmal fiel ein Wassertropfen in die Spüle. Er überlegte, ob erseine Ohrplugs holen sollte, die teuren, individuell für ihn angefertigten Schaumstoffpilze, die sich weit in die Gehörgänge schieben ließen und diese fast hermetisch verschlossen. Aber er tat es aus Aberglauben nicht. Er hatte das Gefühl, dass er damit der Krankheit wieder den Weg bereiten würde. Er war genesen, die Geräusche waren natürlich, und er nahm sie natürlich wahr, nicht krankhaft verstärkt oder mit eingebildeten Lauten vermengt. Er musste sie einfach ausblenden. Ein gesundes Gehirn war dazu in der Lage. Es hatte einen speziellen Filter in der auditiven Hirnrinde, und seit der Nacht, in der er, mit einem Eisengewicht beschwert, im Fluss versunken war und sich mit letzter Kraft ans Ufer gerettet hatte, schien dieser Filter wieder zu funktionieren.
Am nächsten Morgen stand er zeitig auf. Er fand einen Werkzeugkasten und ein paar lose Schrauben, mit denen er den Rahmen stabilisierte und das Schließblech befestigte, dann ging er Brötchen holen und machte Frühstück.
Als Silvia aus dem Schlafzimmer trat, hatte sie eine Hand in ihren verstrubbelten Locken und auf den Lippen, den Lippen, die so voll waren, dass er sie anfangs für ein Wunder der Chirurgie gehalten hatte, ein verschlafenes Lächeln. Sie gab ihm einen Kuss, setzte sich zu ihm in die Morgensonne auf die Loggia und ließ sich einen Cappuccino machen.
»Gut geschlafen?«, fragte er.
Sie nickte und räkelte sich behaglich. »Tut mir leid wegen gestern.«
»Schon okay. Deine Befürchtungen sind verständlich. Ich gehe gleich ins Maklerbüro, lasse einen Schlosser kommen, und danach erstatte ich Anzeige.«
»Wozu?«
Lunau schaute sie verblüfft an. »Ich denke, wir wollen der Sache auf den Grund gehen, oder? Du glaubst, dass der Einbruch mit Joy zu tun hat. Sie werden die Fingerabdrücke aus der Wohnung nehmen und mit Joys Zuhälter, diesem Michael, abgleichen. Falls er hinter dem Einbruch steckt, dann wird er in Gewahrsam genommen.«
Sie winkte ab. »Das ist doch nicht dein Ernst. Die Polizei wird bestenfalls ein Protokoll aufnehmen und irgendwo abheften. Niemand wird sich hierher bemühen. Die Zeit können wir uns sparen.«
»Dann frage ich wenigstens die Nachbarn, ob die irgendjemanden beobachtet haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will, dass du gar nichts unternimmst, verstehst du? Ich will, dass du aufhörst, den Ermittler zu spielen.«
»Aber wir können doch nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Die Lage wird nicht sicherer, wenn wir uns tot stellen.« Er lehnte sich zurück und schaute sie an. Ihr Gesicht war ebenso entspannt wie entschlossen. Aber es waren ihre Kinder, die sie schützen wollte. Sie hatte das Recht zu entscheiden.
»Okay. Einverstanden«, sagte er, schmierte sich Marmelade auf ein Brötchen und grub seine Zähne in die frische knusprige Kruste. Er trank einen Schluck Kaffee, schaute in die Pinienkronen und überlegte.»Willst du den Urlaub abbrechen? Sollen wir nach Ferrara umziehen?«
Als er ihr verkniffenes Gesicht sah, wusste er, dass er schon wieder einen Fehler gemacht hatte. Das Thema hatten sie schon oft genug besprochen, immer mit demselben Ergebnis: Lunau durfte nicht in Silvias Haus übernachten, nicht im Trauerjahr. Lunau verstand die altmodische Haltung nicht, aber er akzeptierte sie.
»Nein. Wir lassen das Schloss erneuern und bleiben hier. Die Kinder haben nichts von dem Einbruch
Weitere Kostenlose Bücher