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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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mitbekommen. Die Sonne und das Meer tun ihnen gut. Ich will, dass sie einen Strandurlaub machen. So wie jedes Jahr. Sie sollen endlich wieder so etwas wie Normalität erleben.«
    Er erwiderte nichts.
    »Verstehst du das?«, fragte sie.
    Er nickte, obwohl er wusste, dass Silvia sich hilflos an Rituale klammerte. Rituale waren kein Schutz, aber sie waren ein Halt, der einzige, den die Menschen entwickelt hatten. »Natürlich.«
    Sie stand auf, kam um den Tisch und legte ihre Arme um seinen Hals. Sie beugte sich herunter, rieb ihre Nasenspitze an seinem Ohr, küsste ihn auf den Hals und fragte: »Versprichst du mir etwas?«
    »Klar.«
    »Bleibst du rund um die Uhr bei den Kindern?«
    »Also willst du in die Agentur und zum Schlosser gehen?«
    Sie lachte. Sie fuhr Lunau durchs Haar, drückte ihnan sich und lachte immer noch. Als sie wieder bei Atem war, sagte sie: »Herrlich, ihr Deutschen. Mit eurem Buchstabengehorsam. Ich meinte natürlich, dass du die Kinder beschützen sollst, wenn ich nicht da bin.«
    Er drehte sich um und sah ihr Strahlen und den vollen femininen Körper, der sich unter dem leichten Schlafanzug abzeichnete. Sie hatte heute frei, sie hatten Zeit. Es war noch nicht einmal acht Uhr.
    Er trug sie ins Haus, legte die Kette des Vorhängeschlosses vor und führte sie ins Schlafzimmer. Während ihre Fingerspitzen über die Haut des anderen strichen, lauschten sie auf Geräusche. Irgendwo fuhr ein Lieferwagen durch die Straße, die Rufe von Dachdeckern wurden herangetragen, die Metallpforte der Wohnanlage quietschte. Dann hörte man nur noch, ganz leise, die Brandung. Die Kinder im Nebenzimmer schliefen. Silvias Hände erkundeten seinen Körper mit der Neugier eines Kindes und der Bestimmtheit des Erwachsenen, sie trieben kleine Schauer über den Bauch, die Hüften. Ihr Atem duftete nach warmem Milchkaffee, an ihrer Haut hing noch der Geruch der Nacht. Als ihre nackten Körper zueinander fanden und alle Geräusche zu einem weichen, gleichmäßigen Rauschen in seinen Ohren verschmolzen, dachte er an einen albernen Spruch: »Jeder bekommt eine zweite Chance.« Aber was wusste er schon über Albernheiten?
11
    Der Sandstrand war am Lido degli Estensi mehrere Hundert Meter breit, Folge der Strömungen aus dem Po-Delta. Andernorts erodierte der Strand, aber hier wurden ständig neue Sedimente angeschwemmt. Für die Urlauber wurde der Weg von der Bar zum Wasser immer unbequemer. Für die Strandbetreiber immer lukrativer. Sie konnten von Jahr zu Jahr mehr Schirmreihen stellen.
    Silvia packte die Handtücher und das Sandspielzeug zusammen und suchte nach den Beachtennisschlägern. Vergeblich. Sie schaute landeinwärts. An der Strandbar waren fünf Netze gespannt und Felder markiert. Hier kämpfte Mirko mit rotem Kopf gegen einen Jungen, der zwei Jahre älter war. Die anderen Kinder saßen am Rand und beobachteten das Match.
    Silvia fiel ein, dass sie für das Abendessen noch Salat brauchten. Sie wollte Lunau bitten, welchen vom Einkaufen mitzubringen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Sie stopfte das Telefon mürrisch in die Tasche zurück, warf einen flüchtigen Gruß in die Runde der letzten Badegäste, die sich Pullover und lange Hosen übergezogen hatten, dann ging sie zu den Kindern. An Mirkos schweißnasser Haut klebte der Sand und hüllte seinen schlanken, drahtigen Körper ein wie eine Skulptur. Wie eine bildschöne Skulptur, fand Silvia.
    »Wie steht’s?«, rief sie.
    »Fast fertig.«
    »Wir wollen essen.«
    »Das ist das Finale.«
    Silvia blickte in die Runde der Kinder, die bei diesem Turnier bereits ausgeschieden waren.
    »Wo ist Sara?«, fragte sie. Mirko zuckte mit den Achseln. »In der ersten Runde schon rausgeflogen. Vielleicht bei den Tischtennisplatten.«
    Silvia nahm die Taschen und die Luftmatratze und ging zur Strandbar. Unter einer großen Pergola standen zwei Platten. Aber schon bevor sie diese sehen konnte, wusste sie, dass Sara dort nicht spielte. Es fehlte das typische Klacken des kleinen Plastikballs. Sie ließ die Taschen fallen, schaute in die Bar und fragte den Besitzer. Sie lief an den Umkleidekabinen entlang, an den Türen der Toiletten und rief immer wieder Saras Namen. Silvias Stimme hallte in dem betonierten, von Flachbauten umschriebenen Halbkreis. Keine Antwort.
    Sie rannte zurück zum Beachtennisfeld. »Mirko, wo ist Sara?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Was hat sie wann gesagt?«
    Mirko drehte seinen Kopf Richtung Mutter und übersah, dass sein Gegner den

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