Der Tote am Lido
zog. Am Boden lagen Abdeckplanen, die in der Zugluft flirrten. Die wenigen Möbelstücke waren neu, eine Schublade stand offen. Lunau näherte sich so weit, dass er hineinsehen konnte. Die Schublade war leer.
»Hat Meseret für Sie die Wohnung schwarz renoviert? Und dann kam es zu einem Arbeitsunfall?«
»Was haben Sie immer mit diesem Meseret?«
Lunau fühlte sich in einer Sackgasse. Diese Wohnung war der erste Anknüpfungspunkt zu Joy und Michael, aber er führte nicht weiter. Weil dieser Kerl sich dumm stellte. Lunau wurde laut: »Meseret war der Name Ihres Mieters, egal, was er Ihnen gesagt haben mag. Ihres Mieters, den man ermordet, dem man das Gesicht mit einer Baumaschine zermatscht und dem man die Fingerkuppen abgetrennt hat, um eine Identifizierung zu verhindern. Ich glaube, dass Sie das wussten. Sie hätten ihn identifizieren können, haben es aber nicht getan. Warum? Was haben Sie mit dem Mord zu tun? Was haben Sie mit Joy zu tun?«
»Ich kenne keine Joy.«
Der Kiefer des Mannes blieb seitlich stehen, über sein Gesicht huschte ein nervöses Zucken. Lunau holte sein Handy aus der Tasche.
»Was tun Sie?«, fragte der Mann.
»Ich werde Sie der Polizei melden.«
»Warten Sie.« Er hatte die Hände gehoben und schüttelte sie. »Ich heiße Diego Gianella.«
Lunau schaute ihn erwartungsvoll an. Und als der Mann nicht weitersprach, hob er wieder das Handy vors Gesicht und sah auf die Tasten. Gianella sagte: »Ich war ein Freund von Meseret.«
»Und warum sind Sie dann nicht zur Polizei gegangen?«
»Ich wusste nicht, dass der Tote Meseret war.«
»Sie dachten also, Meseret wäre wie gewohnt bei der Arbeit oder bei Freunden. Und dann dringen Sie in seine Wohnung ein? Das soll ich Ihnen glauben?«
»Ich hatte ein ungutes Gefühl. Ich wollte sehen, wie es ihm geht.«
»Und wühlen deshalb in seinen Sachen?«
»Ich habe nicht gewühlt. Die Wohnung ist praktisch leer.«
»Ja, jetzt.« Lunau überlegte, ob er Gianella von der Entführung erzählen sollte, ließ es aber bleiben. »Ich muss Meserets Verlobte finden. Joy. Sie war manchmal mit ihm hier. Eine junge Schwarze, sehr attraktiv, in auffallenden Klamotten.«
Der Mann zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn wirklich nie mit einem Mädchen gesehen.«
»Mit einem Freund oder Bekannten?«
Wieder ein Kopfschütteln.
»Es kann doch nicht sein, dass Meseret immer allein war. Auch wenn er Ihnen Geld bringen musste, oder wenn Sie ihn mal zufällig auf der Straße getroffen haben?«
Gianella fasste sich an den Kopf. »Einmal, da habe ich ihn vorne an der Bar gesehen.«
»Und?«
»Er redete mit einem anderen Schwarzen.«
»Und wie sah er aus? Ein großer Kerl mit breitem Gesicht?«
Gianella runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf: »Nein, sein Gesicht war eher schmal, dichte, an den Kopf gegelte Locken.«
Oba. Lunau gab dem Mann seine Karte und sagte: »Ein kleines Mädchen ist entführt worden. Von Leuten, die hinter Meseret her waren. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich bitte an.«
Der Mann nickte, und Lunau wusste, er würde sich niemals melden, egal, was ihm einfallen würde. »Wo kann ich Sie erreichen?«
Gianella zögerte.
»Bitte!«
Schließlich gab er Lunau eine Handynummer.
17
Amanda saß am Steuer des Lieferwagens und fuhr durch die Unterführung hinter dem Bahnhof. Neben ihr saß Cecilia und schwieg zwischen ihren affigen Zöpfen.
Sie hatten die Via Bologna abgegrast und wie immer vergeblich versucht, mit einer der osteuropäischen Prostituierten ins Gespräch zu kommen. Am Straßenstrich der Italienerinnen und bei den Transvestiten hatten sie mehr Erfolg gehabt. Dort hatten sie immerhin Kondome und Snacks verteilt. Nun kamen sie auf die Via Padova, eine vierspurige Straße, die durch Gewerbegebiete, vorbei an Lagerhallen und verfallenden Fabriken führte. Hier waren die billigsten Plätze. Hier war der Strich der Afrikanerinnen. Und hier begann die fruchtbarste Arbeit. Denn bei den Afrikanerinnen hatten sie am ehesten die Chance, einen Kontaktherzustellen, jemanden zuerst mit kleinen Geschenken, dann mit Informationen und juristischer Hilfestellung, schließlich mit dem Versprechen einer Aufenthaltsgenehmigung aus dem Ring der Prostitution zu lösen.
»Halt mal«, sagte Cecilia, in einem Ton, der Amanda auf die Nerven ging. Cecilia war schon zwei Jahre bei Ex und behandelte Amanda wie eine Handlangerin. Auch wenn sie es nicht offen sagte, so hielt sie Amanda für ein höheres
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