Der Tote am Lido
Töchterlein, das die ehrenamtliche Tätigkeit aus reiner Langeweile übernommen hatte, oder um ein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
»Kennst du die?«, fragte Amanda. Sie hatte neben einem jungen schwarzen Mädchen gebremst, das in einem gelben Minirock und glitzerndem Top unter einer Straßenlaterne wartete.
»Sie ist neu.« Cecilia ließ die Scheibe herab, ein Schwall heißer Sommerluft, untermischt mit Autoabgasen und dem süßlichen Duft der Chemiefabrik, fuhr herein. »Möchtest du einen Becher Eistee?«, fragte sie.
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Kondome?«
Wieder ein Kopfschütteln.
Cecilia reichte ihr einen Schokoriegel durchs Fenster. »Hunger?«
Das Mädchen reagierte nicht. Amanda schätzte es auf zwanzig.
»Wie heißt du?«
Die Schwarze wandte sich ab und ging ein paar Schritte weiter.
»Das hat keinen Sinn. Sie scheint Anfängerin zu sein und ist verängstigt«, sagte Amanda.
»Fahr ihr nach.«
»Es hat keinen Sinn.«
»Du sollst ihr nachfahren.«
Amanda legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung kommen, obwohl ihr die Situation nicht gefiel. Das Mädchen war auf dem finsteren Parkplatz eines Baumarktes verschwunden. Vielleicht suchte es Hilfe bei ihrem Zuhälter. Cecilia öffnete die Beifahrertür und sagte: »Warte hier.«
»Wo willst du hin?«
»Sie hat Angst vor dem Auto. Wenn ich alleine mit ihr rede, dann ist sie vielleicht zugänglicher.«
»Bist du verrückt?«
Amanda war in den zwei Monaten, die sie für Ex auf der Straße arbeitete, noch keinem Zuhälter direkt begegnet, aber sie kannte die Geschichten, die in der Teeküche kursierten.
Auf dem Parkplatz standen Einkaufswagen in langen Schlangen, an einer Laderampe parkte ein Lastwagen. Niemand war zu sehen. Das Mädchen war hinter einem Müllcontainer verschwunden. Cecilia ging ihr nach.
Amandas Puls fing zu galoppieren an. Sie hatten klare Vorschriften: Niemals alleine operieren. Niemals den Wagen verlassen. Dumme Zicke, dachte sie. Was willst du mir beweisen? Einen Moment lang rangen die Wut auf ihre Kollegin und ihr Verantwortungsgefühl miteinander. Dann zog sie den Zündschlüssel ab und stieg ebenfalls aus.
Als sie leise die Tür ins Schloss drückte, fasste sie jemand am Arm, und sie stieß einen Schrei aus. Da stand Lunau und starrte sie mit einem irren Gesichtsausdruck an. Amandas Knie zitterten, und sie griff nach dem Rückspiegel.
»Warum erschreckst du mich so?«, fragte sie.
»Setz dich in den Wagen. Ich muss mit dir reden.«
»Wie hast du mich gefunden?«
»Setz dich in den Wagen.«
Er redete genauso herrisch mit ihr wie Cecilia. Wäre Amanda nicht so hilflos gewesen, hätte sie ihm die Meinung gesagt, aber nun war sie fast froh, wieder ins Führerhaus steigen zu können.
Lunau setzte sich auf den Beifahrersitz. »Ich muss wissen, wo Joy ist.«
Amanda schaute ihn an. Er war blass, die Haut auf seinem Nasenrücken zuckte nervös. »Was ist denn los?«
»Wo ist Joy?«
»Keine Ahnung.«
»An welchem Platz steht sie?«
»Normalerweise an der Kreuzung Via Padova/Via Modena, aber sie ist heute nicht da.«
»Warum nicht?«
»Weiß ich nicht.«
»Wo ist sie?«
Amanda schwieg.
Lunau fasste sie am Oberarm und rüttelte an ihr. »Wo ist sie?«, schrie er.
Amandas Nerven fingen an, verrückt zu spielen. Sieblickte über den Parkplatz, dorthin, wo Cecilia verschwunden war. Noch immer war niemand zu sehen. Nur die Schlangen der Einkaufswagen, der Laster, die Müllcontainer und dahinter Büsche, in denen Papierfetzen und andere Abfälle schimmerten.
»Wo ist Michael, ihr Zuhälter?«
»Weiß ich nicht.«
»Ich muss ihn finden, verstehst du? Wo wohnt er? Wie lautet seine Handynummer? Wie sieht er aus?« Lunau hatte so laut gebrüllt, dass seine Stimme in dem blechernen Gefährt nachhallte. Amanda bekam Angst. »Willst du mir nicht erklären, was los ist?«
Lunau erzählte knapp, was passiert war: Michael hatte Sara entführt, um an Joy heranzukommen.
»Wer hat ihm gesagt, dass Joy bei mir war? Wie kommt er auf die Idee, dass Joy sich bei mir versteckt?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Warum antwortest du nicht, wenn ich dich anrufe?«
»Ich weiß nicht …«
Lunau zerrte sie an den Schultern und schüttelte sie so heftig, dass ihr Kopf hin und her flog. »Red keinen Unsinn. Du hast Joy zu mir geschickt. Deinetwegen hat diese ganze Geschichte angefangen. Wo ist Joy?«
»Ich sag dir doch, dass ich es nicht weiß.«
»Und Michael, wo ist der?«
»Er wohnt irgendwo in der Via Modena,
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