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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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drückte so hart gegen ihren Hinterkopf, dass sie versuchte, sich ihr Kissen unter den Kopf zu denken. Aber der Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Ich muss stark sein, dachte sie. Sie nahm den großen Panda und legte ihn sich unter den Kopf. Aber er roch nicht wie ihr Kopfkissen, er roch nach Tankstelle und nach Uhu.
    Sie dachte an den Atem ihrer Mutter, der warm und sanft über ihr Gesicht strich, wenn sie ihr Gute Nacht wünschte und einen Kuss auf die Stirn drückte. Und dann konnte sie nicht mehr stark sein. Sie schluchzte und hörte, wie ihr Schluchzen sich an den kahlen Wänden brach.
    Der Riegel wurde aufgezogen, und dann öffnete die Tür sich einen Spalt. Ein Keil aus grau-blauem Licht hebelte die Schwärze auf, Sara wagte aber nicht, in den schwachen Lichtschein zu sehen. Wenn ER jetzt in diesem Spalt steht?, dachte sie. Sie drehte schnell den Kopf weg und stellte sich schlafend.
    Ein blechernes Gefäß kratzte über den Boden. Dann noch eines. Ein süßlicher Geruch stieg Sara in dieNase. Aber um nichts in der Welt würde sie Essen anrühren, das von IHM kam.
    Ich muss einfach überleben, dachte sie. Ich darf nichts tun, was IHN gegen mich aufbringt. Ich tue, was ER will. Aber was wollte ER von ihr?
16
    Lunau war die dreißig Kilometer an der Küste entlanggefahren, am Lido degli Estensi, Lido degli Scacchi, Lido di Pomposa, Lido delle Nazioni vorbei, an Orten, die so eintönig und austauschbar waren wie ihre Namen. Schließlich waren nur noch Ödland, Sumpf und Weidengewächse zu sehen gewesen.
    Bosco Mesola war ein Dorf mit zweitausend Einwohnern im Nirgendwo, benannt nach einem Sumpfwald, der dem Fürstengeschlecht der Este einst als Jagdrevier gedient hatte. In der Umgebung gab es, bis auf ein bescheidenes Überbleibsel des Waldes, nur Felder, Abzugsgräben und Deiche. Keine Industrie, keine Arbeitsplätze, nicht einmal eine Tankstelle. Es war ihm ein Rätsel, warum Meseret und Joy sich ausgerechnet hier ansiedeln wollten. Aber vielleicht war die Antwort einfach: Sie wollten abtauchen. Eine billige Miete.
    Lunau durchquerte den Ort mit dem Wagen und sah nur verlassene Sträßchen, bescheidene Einfamilienhäuser, an einer rechtwinkligen Kurve lag eine Bar mit einer verblichenen Speiseeisfahne, die den Ortskern markierte. Zweihundert Meter weiter kam die Überraschung:die gelbe Reihenhaussiedlung. Ein Neubau, ein bemerkenswerter Kontrast zur Umgebung. Die meisten Fenster waren erleuchtet, dahinter strahlten Flachbildfernseher, in den Vorgärten parkten blinkende Autos neben jungen Sträuchern. Dreiräder und Tretroller, Kinderfahrräder, Wäsche, Gartenhäuschen und aufblasbare Plantschbecken waren zu sehen. Lebensfreude und Wohlstand. Woher Lebensfreude und Wohlstand hier kamen, war unerklärlich.
    Lunau parkte und ging an den Häuschen vorbei. Nach etwa hundert Metern zeichnete sich der Block mit Apartments ab, der das Zentrum des Ensembles bildete. Lunau wartete eine Weile hinter einer Pinie und suchte die Vorderfront ab. Es gab drei Stockwerke, mit jeweils acht Fenstern. Elf waren beleuchtet, die meisten mit Fernseherlicht. Kein Gesicht war zu sehen, keine Gardine, die sich bewegt hätte. Ob tatsächlich Joy hier war?
    Lunau trat an den Hauseingang. Auf der erleuchteten Klingelleiste waren zehn Namen zu lesen, durchweg italienische, an zwei Klingeln fehlte der Name. Lunau probierte die Schlüssel am Hauseingang aus. Einer passte.
    Von den beiden Wohnungen, deren Klingeln anonym waren, lag eine im Erdgeschoss. An der Tür stand jedoch ein Name: Bianchi. Aus der Wohnung drang Kindergeschrei, ein Mann brüllte Drohungen und fing dann mit einer Frau zu streiten an.
    Blieb die Wohnung im dritten Stock. Lunau ging die Treppe hoch und suchte den Korridor ab. Er dachtedaran, wie schnell Joy laufen konnte. Er musste sie überraschen. Und dann?
    Sara hatte ihn nach dem Mörder Meserets gefragt. Er wird euch nichts tun, hatte Lunau geantwortet und war sich seiner Sache sicher gewesen. Er betrachtete den Rauputz an den Wänden, die sauberen, frisch gestrichenen Kanten. Als ob das Leben eine geordnete Angelegenheit wäre.
    Als die Zeitautomatik das Licht abschaltete, blieb er im Dunkeln stehen und wartete einen Moment. Aus den Apartments drang ein diffuser Brei aus Fernsehton, Musik, Stühlerücken, Geklapper von Geschirr und Gläsern. Als Lunaus Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er vier Wohnungstüren. Die letzte Klingel rechts war nicht beschriftet. Er legte das Ohr an die Tür und

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