Der Tote am Lido
nicht so kompliziert.«
»Was heißt das?«
»Die ersten beiden Nummern nutzen Netze von kleinen Anbietern, scheinen aber abgeschaltet zu sein.«
»Und die anderen?«
»Ich habe noch nichts. Glaub mir, ich tue meine Arbeit.«
Lunau hörte im Hintergrund die Tastatur des Computers. Er hatte von Sascha nur ein Bild vor Augen: vor einer Reihe von Laptops und Flachbildschirmen sitzend, das Handy unter die Schulter geklemmt, mit einer Hand Anweisungen gebend, mit der anderen Tasten bedienend. In sieben Jahren hatte Lunau es zwei Mal geschafft, Sascha in eine Bar zu schleppen, aber auch dort hatte er seinen Laptop aufgeklappt und gleichzeitig auf seinem Smartphone gearbeitet. Sie hatten ein Gespräch geführt, über Fußball, Frauen undFerieninseln, aber Sascha hatte dabei nie zu tippen aufgehört, und es war für beide eine Erlösung gewesen, als sie das Lokal verlassen konnten.
Lunau setzte sich wieder ins Auto und wartete. Er schaltete das Radio an, schaltete es wieder ab. Er rief Amanda an, die Joys Wohnung und ihren Standplatz noch einmal überprüft hatte. Ohne Ergebnis. Sie hatte Kolleginnen auf dem Strich befragt, aber die wussten auch nichts. Er überlegte, ob er Silvia anrufen sollte, fand aber tausend Gründe, es nicht zu tun. Dann hörte er das zweifache Piepsen seines Handys. Eine SMS war eingegangen. »Tut mir leid. Keine der Nummern ist aktiv.«
Lunau schlug aufs Lenkrad. Was hatte Tarantella ihm da für Informationen gegeben? Andererseits war Michael sicher nicht so dumm, sich bei einer Straftat über sein Handy orten zu lassen. Lunau sah einen jungen Mann, der mit Rappermütze und schlabberndem Hosenboden, leicht torkelnd, auf die Haustür zuging, mit einiger Mühe den Schlüssel ins Schloss einfädelte und dann im Treppenhaus verschwand. Lunau musste seine Strategie ändern. Vielleicht fand er in Michaels Apartment einen Hinweis auf das Versteck. Er überlegte einen Moment, ob er einen Einbruch wagen konnte. Er hatte schon illegal Gespräche abgehört und brisante Unterlagen kopiert, im Mai war er in ein Büro eingebrochen. Aber das war bei zwei alten Männern gewesen, die er für harmlos gehalten hatte. Bis sie ihn mit einem Feuerlöscher niedergeschlagen hatten.
Er überwand seine Angst und war im Haus, ehe dieTür wieder zufiel. Er ging die drei Stockwerke hoch, klingelte an Michaels Tür, sah sich um und lauschte. Niemand war im Treppenhaus. Er nahm seine Scheckkarte und versuchte, die Falle der Tür zu öffnen, aber der Spalt zwischen Türblatt und -rahmen war durch eine Blende abgedeckt. Die Tür war aus Stahl, unmöglich, sie durch einen Tritt zu öffnen. Lunau brauchte ein biegsames und gleichzeitig widerstandsfähiges Material, das er in den Spalt schieben konnte. Er suchte den Korridor nach Müll ab und fand einen Joghurtbecher, aus dem er mit dem Taschenmesser eine schmale Zunge herausschnitt. Und diese biegsame Zunge ließ sich in den Spalt schieben.
21
Lunau trat in die dunkle Wohnung, aus der ihm eisige Luft entgegenwehte. Man hörte das sanfte Summen der Klimaanlage. Lunau drückte die Tür zu, lauschte eine Weile und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Dann schaltete er das Licht ein.
Lunau suchte einen Computer, fand einen Laptop auf einer großen, L-förmigen Ledercouch und fuhr ihn hoch. Die Wohnung war mit teuren Designermöbeln eingerichtet. Schlichte Formen aus Chrom, Glas und Leder. Die Einrichtung hätte geschmackvoll gewirkt, wenn nicht überall Klamotten, Zeitschriften, selbstgebrannte CDs und anderer Krimskrams herumgelegen hätten. An den Wänden hingen Poster vonKampfsportchampions und Helden aus Actionfilmen. Aber dominiert wurde die Szenerie von einem anderen Motiv: Joy. Joy in einem Sommerkleid an der Côte d’Azur, Joy im Bikini am Strand, Joy ohne Bikini. Joy in DIN A7 und in Plakatgröße. Joy lag als Schlüsselanhänger auf dem Schreibtisch, ihr Gesicht war auf ein T-Shirt gedruckt. War Michael ein Zuhälter oder ein Stalker?
Während er auf den Computer wartete, verschaffte Lunau sich schnell einen Überblick in der Wohnung: Es gab ein Schlafzimmer mit Doppelbett, ein Fitnessstudio mit Hantelbank und Trimm-Dich-Rad, ein Wohnzimmer mit riesigem Flachbildfernseher und einer Stereoanlage, die ein kleines Vermögen wert war. Auch hier Bilder von Joy. Im vierten Zimmer stand ein Schreibtisch, der nichts anderes darstellte als eine Glasplatte auf einem Backsteinpodest. Auf dem Schreibtisch lagen Rechnungen, CD-Roms, Krümel von einem Radiergummi, das Netzkabel
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