Der Tote am Lido
muss uns helfen, Michael zu finden. Er wird Sara irgendwo außerhalb der Stadt versteckt haben. In einem verlassenen Bauernhof, auf einem Boot oder in einem Keller. Sie weiß sicher, wo er seine Drogen lagert, ob er irgendwo einen sicheren Stützpunkt hat.«
Amanda sah ihn misstrauisch an. »Du wirst Joy nicht gegen Sara eintauschen, oder?«
»Nein«, sagte Lunau.
»Versprichst du mir das?«
»Ja.«
Amanda nickte, blickte aber skeptisch drein. Dann fuhr sie wie gewohnt mit quietschenden Reifen davon. Doch auch dieses Reifenquietschen hatte sich verändert. Aus den abgehackten, hektischen Schüben war ein einziges pfeifendes Crescendo geworden.
Michaels Wohnung befand sich in der Via Modena, im dritten Stock eines quaderförmigen hellgrauen Mehrfamilienhauses. Die Fenster der 140 Quadratmeter großen Wohnung waren dunkel.
Es war halb zwölf, als Lunau bei »M. D.«, Michael Duhula, klingelte. Wie erwartet, kam keine Reaktion.Die Haustür war aus Stahl und fest verschlossen. Lunau musste warten.
Er setzte sich ins Auto und rief seinen Freund Sascha an. Sascha war ein EDV-Spezialist, der mit seiner Firma SMS-Pakete übers Internet abwickelte, nebenher aber auch Sonderaufträge annahm. Manchmal arbeitete er für Großkonzerne, manchmal für Banken, manchmal für Kunden, über deren Namen er mit einem Lächeln hinwegging. Lunau gab Michaels diverse Handynummern durch und die eine, die er von Joy kannte. Er bat um eine möglichst schnelle Ortung und versprach Sascha ein großzügiges Honorar. Sascha würde bei einem Treffer mit einer SMS antworten.
Lunau legte auf und las Michaels Biografie: Geboren war er in Oka, einem südlichen Stadtviertel von Benin City. Die Eltern waren während der Aufstände gegen den Militärdiktator Sani Abacha getötet worden, Michael daraufhin nach Europa geflohen. Vor neun Jahren war er in Lampedusa gelandet und in ein Schutzprogramm für Minderjährige eingegliedert worden, dann hatte man ihm eine fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung gegeben, die um weitere fünf Jahre verlängert worden war.
Zwei vorläufige Festnahmen wegen Drogenbesitzes. Allerdings waren die Mengen so gering, dass man ihm keinen gewerbsmäßigen Handel unterstellen konnte. Keine Beweise für Zuhälterei. Keine Vorstrafen. Joy Mboma, seine Cousine zweiten Grades, war offiziell seine Verlobte.
Es fanden sich außerdem in dem Ordner die AdresseJoys sowie Namen und Adressen von zwei nigerianischen Kleindealern, die als Michaels Helfer galten. Was er nicht fand, war ein Hinweis auf einen geheimen Stützpunkt Michaels. Ein Ort, an dem er Drogen oder Waffen versteckte und wo er Sara gefangenhalten konnte. Wo mochte sie sein? Lunau überlegte, welchen Rückzugsort man sich in einem fremden Land suchen mochte. Er dachte an die Pfahlbauten der Fischer, die einsam die Flussdeiche säumten, an die Materiallager der Deichbehörde, in denen sich im Mai Beppe Pirri, ein Mordverdächtiger, versteckt hatte. Er hatte sich eine Baracke auf einer abgelegenen Landzunge gesucht, die seit Jahren niemand betreten hatte. Aber Michael kannte die Gewohnheiten der Deichbehörde nicht. Lunau versuchte, sich in ihn hineinzudenken, schaffte es aber nicht.
Immer wieder kontrollierte er sein Handy, obwohl er wusste, dass keine Nachricht eingegangen war. Er dachte an Sara, die irgendwo auf einem Stück Beton lag, an Silvia, die in der Ferienwohnung auf und ab ging, immer wieder einen Seitenblick auf Mirko werfend. Er merkte, wie ihm die Angst und die Wut über sich selbst langsam den Atem abstellten. Seine Hände wurden kalt, die Geräusche von der Straße wogten durch seinen Kopf, ein Scooter, dessen Drehzahl langsam stieg, wurde so laut wie ein Jumbojet, eine Autotür klang wie Gewitterdonner. Er fürchtete, sein Gehör könnte wieder verrückt spielen, ausgerechnet jetzt.
Er sprang aus dem Wagen, atmete tief ein und sah zu den dunklen Fenstern hoch. Und dann dachte Lunauan zu Hause. An Jette, die Frau, die er für sein Zuhause gehalten hatte, an Stefan und Paul, deren Stimmen sich langsam veränderten, deren Gesichter ihm manchmal im Halbschlaf erschienen, immer undeutlicher, wie Lunau meinte.
Lunau wählte noch einmal die Nummern von Michael und Joy. Ohne Erfolg. Es sprangen nur die Mailbox und die Anrufbeantworter an. Er rief Sascha an.
»Ich hatte doch gesagt, ich melde mich, sobald ich etwas herausgekriegt habe«, sagte dieser ungehalten.
»Ich weiß«, antwortete Lunau. »Aber normalerweise …«
»Normalerweise liegen die Dinge
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