Der Tote am Lido
suchen.»Ich habe Joy zu dir geschickt. Ich fühle mich mitverantwortlich.«
Zu Recht, dachte Lunau. Er hatte den Datenordner namens »Michael Duhula« geöffnet und war verblüfft. Tarantella hatte so gewirkt, als habe er den Namen noch nie gehört, aber in dem Ordner fanden sich ein Lebenslauf, ein Passfoto, die Privatadresse und mehrere Telefonnummern.
Lunau hatte einen Freund, der über eine illegale Website Handynummern ortete. Den wollte er kontaktieren. Aber nicht in Amandas Beisein. Er betrachtete ihre feine, lange Nase, die Wangenknochen, über die sich die Haut wie ein straffes, zartes Tuch spannte. Lunau suchte nach Veränderungen in ihrem Gesicht und konnte keine finden. Und doch war etwas anders an ihr.
Im Frühling hatte sie nur ein Ziel gekannt: den Tod ihres Freundes aufzuklären, besser gesagt zu rächen. Ihr war jedes Mittel recht gewesen, um an Informationen zu kommen. Für Lunau hatte sie Daten aus dem Rechner ihres Vaters geklaut, und gleichzeitig hatte sie Lunau beschattet und angelogen. Warum engagierte sie sich jetzt bei Ex ? Im Kampf gegen Prostitution? Warum fuhr sie Essen auf Rädern aus?
»Warum hast du Joy ausgerechnet zu mir geschickt?«, fragte er.
»Schon wieder diese Frage? Weil du ein Herz für Immigranten hast, und weil du dich bei den Recherchen nicht von Vorurteilen blenden lässt.«
»Wir haben alle unsere Vorurteile.«
Sie blies die Backen auf und ließ dann genervt die Luft entweichen. Lunau betrachtete das Foto Michaels: Ein breites, offenes Gesicht mit fleischiger Nase und großen Augen. Eine hohe, fast rechteckige Stirn, kräftige, genau definierte Muskelstränge, die diesen Kopf mit Nacken und Schultern verbanden. Er war zwar ein athletischer Typ (1,92 Meter, stand in der Personenbeschreibung), aber das Gesicht wirkte fast gutmütig.
»Er sieht nicht aus wie ein brutaler Zuhälter«, sagte Lunau. »Ich frage mich, was ihn dazu getrieben hat, Sara zu entführen. Er hat eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Bisher ist er allen Vorstrafen aus dem Weg gegangen, hat sich nie beim Dealen oder als Lude erwischen lassen. Dieser Brachialakt passt nicht zu ihm.«
»Du kennst ihn nicht. Er ist unberechenbar.«
»Kennst du ihn denn?«
»Nicht persönlich.«
»Sondern?«
Amanda schaute kurz zu Lunau und griff dann nach ihren Zigaretten. Er nahm ihr das Päckchen aus der Hand und zündete ihr eine an. Ihre Hand zitterte, als sie nach der brennenden Zigarette griff. Hatte sie doch Angst? Vor Michael? Vor Lunaus Fragen? »Wo steht dein Auto überhaupt?«
»Am Baumarkt.«
Sie fuhren über die Umgehungsstraße, die an Einkaufszentren und verlassenen Apartmenthäusern vorbeiführte. Geschlossene Rollläden, finstere Treppenhäuser, Graffiti. Die Kommune Ferrara stemmte sichgegen den Bankrott, indem sie immer mehr Land in Bauland umwandelte und an Investoren verkaufte. So entstanden Neubauviertel, in denen niemand wohnte.
»Woher kennst du Michael?«
»Durch Joys Erzählungen.«
»Und Joy?«
Amanda nahm einen Zug und blies den Rauch durch das geöffnete Seitenfenster. »Ich habe sie durch Ex kennengelernt. Wie jedes Mädchen haben wir auch sie angesprochen. Anfangs war sie abweisend wie die meisten, aber mit der Zeit kamen wir ins Gespräch.«
»Warst du schon einmal bei ihr Zuhause?«
»Wird das ein Verhör? Nein.«
Lunau schüttelte den Kopf. »Ich frage mich einfach, wo sie steckt. Sie geht nicht an ihr Handy. Am Strich hat man sie seit Tagen nicht gesehen. Keines der Mädchen scheint etwas zu wissen.«
»Sie haben Angst und sagen nichts. Wir brauchen manchmal Monate, um den Erstkontakt herzustellen.«
Sie hatten den Baumarkt erreicht. Silvias weißer Panda parkte an der Straße. Die junge Schwarze im gelben Minirock stand wieder an ihrem Platz.
»Wenn du mir helfen willst, dann übernimm Joy für mich. Schau noch einmal an ihrer Wohnung vorbei, rede mit ihren Freundinnen. Vielleicht geht sie auch anderswo auf eigene Rechnung anschaffen.«
»Wenn sie das tut, dann in einer anderen Stadt.«
Lunau überlegte. »Wie auch immer. Ich kümmere mich um Michael, du dich um Joy, okay? Versuch, sie über ihr Handy zu erreichen, hinterlege eine Nachrichtin ihrer Wohnung. Falls du sie findest, gibst du mir Bescheid.«
»Was hast du vor mit ihr?«
Das war die entscheidende Frage. Lunau hoffte noch immer, dass er zuerst Sara finden würde. Aber dazu musste er sich etwas einfallen lassen. Er brauchte einen Hinweis auf Michaels Unterschlupf.
»Ich muss mit ihr reden. Sie
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