Der Tote am Lido
manchmal gar nicht.«
»Und gab es da keinen Streit?«
»Natürlich.«
»Mit wem?«
Oba zögerte.
»Mit dem Mann, der dich geschlagen hat?«
»Ja.«
»Wie heißt er?«
Oba starrte auf seinen leeren Teller, dann auf Lunau.
»Ich bekomme es auf jeden Fall heraus.«
»Ciro De Santis, glaube ich.«
»Und was für eine Art Streit hatten sie?«
»Na ja, Diskussionen halt.«
»Diskussionen? Dich hat er wegen fünf Euro mit einer Eisenstange geprügelt, und mit Meseret hat er diskutiert? Warum? Warum hatte Meseret eine Sonderstellung?«
Oba zuckte mit den Achseln und kratzte den Rest der Nudeln aus dem Topf. Lunau wurde nicht gefragt, ob er noch Hunger habe.
»Er hatte Papiere, eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung. Aber das war nicht alles. Meseret war einfach ein besonderer Typ. Alle mochten ihn.«
»Bis auf den einen, der ihm das Gesicht zermatscht hat. Ihr wart Freunde, und Meseret hat ein Doppelleben geführt, das kann dir nicht entgangen sein. Eine zweite Wohnung, eine nigerianische Freundin, einen einträglichen Nebenjob. Weißt du, dass er auch Land bewirtschaftet hat?«
Oba schüttelte den Kopf.
»Wie hat Meseret das nur alles bewerkstelligt? Er muss doch Helfer gehabt haben. Wenn du es nicht warst – wer dann?«
»Ich habe keine Ahnung. Das müssen Sie mir glauben. Könnten Sie mir das Bad zeigen?«
Lunau gab Oba ein Handtuch, zeigte ihm das Badezimmer und räumte den Tisch ab.
34
»Hat Sie ein Wels gefressen und wieder ausgekotzt?«, fragte Michele Balboni, als Lunau am nächsten Vormittag wieder in dessen Büro saß.
»Nein. Aber ich fühle mich so.«
Lunau hatte eine Stunde wach gelegen und an der dunklen Zimmerdecke Bilder von Silvia und Michael gesehen. Um halb drei war er nach Ferrara zurückgekehrt, um seinen Digitalrekorder zu kontrollieren und den Akku zu wechseln. Von Michael noch immer keine Spur. Den Rest der Nacht hatte er im Auto vor Silvias Haus verbracht. Sein Rücken schmerzte, in seinem Kopf dröhnte es, und das Schlafdefizit ließ ihn alles in grellem Licht wahrnehmen.
»Ich erwarte, dass Sie mir jetzt die Wahrheit sagen«, setzte Balboni wieder an. Der tiefe Bass rüttelte an Lunaus Schädelwänden.
»Ich dachte, Sie wollten mit mir über den Mord an Meseret Zahié reden.« Das war es, was Balboni am Telefon behauptet hatte.
»Zuerst sagen Sie mir die Wahrheit.«
Balboni lehnte sich zurück, verschränkte die Hände über der Stelle, an der noch im Mai ein stattlicher Bauch gewesen war, und sah Lunau an. »Wenn Sie weiterhin meine Intelligenz beleidigen, werde ich Sara befragen, und zwar ohne ihre Mutter.«
»Das dürfen Sie nicht.«
»Wenn ich das Jugendamt einschalte, darf ich das durchaus.«
»Aber um das Jugendamt …«
»Schluss jetzt. Ihre Silvia Di Natale ist alleinerziehend und hat, wenn ich das richtig verstehe, die Kinder unbeaufsichtigt gelassen, während sie ihrer Arbeit nachging.«
»Ich kümmere mich um Mirko und Sara, wenn Silvia in der Schule ist.«
Balboni winkte ab. »Sie hat das Verschwinden ihrer achtjährigen Tochter nicht zur Anzeige gebracht, und sie hat eine zeitnahe Untersuchung der Verletzungen verhindert.«
»Wollen Sie uns erpressen? Indem Sie Silvia mit dem Entzug des Sorgerechts drohen?«
»Wer ist dieser Schwarze?«
Lunau betrachtete den Kommissar, sein graues, ausgezehrtes Gesicht. Er hatte sich nicht nur körperlich verändert. Was nagte an ihm? War er für die Ermittlungen gegen die Kollegen zuständig, die tatsächlich Amandas Freund auf dem Gewissen hatten? War er zwischen die Fronten geraten? Wurde ihm sein Pflichtbewusstsein zum Verhängnis? Vielleicht würde Balboni tatsächlich eine Inspektion in Silvias Familie anordnen. Darauf dringen, dass man ihr das Sorgerecht entzog.
»Sara geht es nicht gut. Versprechen Sie mir, dass Sie sie nicht an ihre Erlebnisse erinnern werden?«
Balboni sah Lunau ernst und erwartungsvoll an.« Was für Erlebnisse?«
Lunau zögerte.
»Braucht sie psychologische Betreuung?«
»Das kann ich nicht beurteilen. Würden Sie diese Entscheidung der Mutter überlassen?«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
Lunau schwieg. Nach einer Weile nickte Balboni. »Gut. Ich finde einen Weg. Was ist Sara zugestoßen? Wer ist der Schwarze?«
»Michael Duhula. Er hat Sara Di Natale entführt.«
Balboni stützte sich auf den Armlehnen ab, stemmte seinen Oberkörper nach oben und ließ sich wieder in den Bürosessel plumpsen. Er schaute sich in seinem rechteckigen Büro um und setzte eine skeptische
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