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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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Erfahrung. Senegalesen haben ein enormes Standesbewusstsein und sehen auf die Nigerianer herab, zumindest auf die, die in Italien landen. Wenn Meseret Kameruner gewesen wäre oder Ghanaer, meinetwegen, aber Senegalese? Nein.«
    Balboni sah missmutig auf die große Schüssel Salat, stocherte zwischen den Zwiebeln und dem Thunfischherum und sagte: »Was ist dieser ganze Komposthaufen im Vergleich zu einem Tramezzino? Aber nein, 1200 Kilokalorien am Tag, ich muss Gras fressen. Damit ich länger lebe. Als ob das ein Leben wäre.«
    Lunau nickte. War allein die Diät an Balbonis eingefallenen Wangen und seiner sauertöpfischen Laune schuld? Er dachte über dessen Worte nach. Für welche Intrige hatte Sara zu büßen? Welchem irrsinnigen Plan war er selbst aufgesessen? Ihm fielen wieder die zahllosen Bilder in Michaels Apartment ein, »JOY«, das Passwort zu seinem Computer und zu seinen Geheimnissen.
    »Es ist eine Tatsache, dass Michael Sara entführt hat, um an Joy zu kommen. Das passt doch zu Ihrer Erzählung. Er muss verhindern, dass Joy gegen ihn aussagt, weil er dann Schwierigkeiten bekommt. Vielleicht kann man ihm die Zuhälterei nicht nachweisen, aber seine Drogengeschäfte muss er einstellen, wenn er unter Beobachtung steht.«
    Balboni leerte sein Glas und bestellte ein zweites Wasser. Im letzten Moment rief er den Kellner zurück und entschied sich für eine Cola. »Ich werde Ihren Hinweisen nachgehen. Eine Hausdurchsuchung in dieser Boxhalle werde ich sicher genehmigt bekommen. Vorausgesetzt, sie unterschreiben das Protokoll Ihrer Aussage.«
    »Natürlich.«
    »Sie haben nicht zufällig ein Aufnahmegerät oder eine Kamera dabei?«
    »Nein, wieso?«
    »Was jetzt kommt, soll nicht ins Fernsehen.«
    »Ich arbeite fürs Radio.«
    »Auch nicht ins Radio.«
    Balboni kramte in seiner Umhängetasche und legte eine Kladde auf den Bistrotisch. Lunau schlug sie auf und war verdutzt. Balboni grinste und nahm einen letzten Schluck Wasser, ehe er das Glas erleichtert abstellte. Was da vor Lunau lag, war der Obduktionsbericht von Meserets Leiche. Hystologische und toxologische Analysewerte, Röntgenaufnahmen vom gesamten Skelett, Blutwerte, Beschreibung der inneren Organe. Insgesamt 87 Seiten Text. Beeindruckend. Für Lunau allerdings weitgehend unverständlich.
    »Kann ich das in Ruhe lesen?«
    »Sind Sie wahnsinnig? Das muss sofort zurück in die Akte.«
    »Eine Kopie?«
    »Kommt nicht in Frage.«
    »Dann sagen Sie mir, was Interessantes drinsteht.«
    »Wie gesagt: Todeszeitpunkt zwischen dem 29. und 31. August. Der Mann war kerngesund. Er wurde wahrscheinlich mit einem Rechen oder einem Sieb geschlagen, starb aber einen Ertrinkungstod. Vorher hat man ihm die Haut an den Fingerkuppen entfernt.«
    »Also hatte er das nicht selbst gemacht, um bei der Einreise seine Identität zu verschleiern.«
    Balboni schüttelte den Kopf. »Die Wunden waren frisch.«
    »Folglich ein Mord, bei dem man die Ermittlungen erschweren wollte.«
    »Oder Totschlag. Es gibt aber noch ein interessantes Detail.«
    Er lehnte sich zurück, wischte sich mit einer Papierserviette den Schweiß von seinem faltigen Hals und lächelte Lunau an. Dieser betrachtete die Fotos vom Fundort und aus der Pathologie. Die zu einem unförmigen Brei zertrümmerten Gesichtsknochen, das bläulich verfärbte Gewebe. Er spürte, wie etwas in ihm rebellierte. Er würde sich nie an solche Bilder gewöhnen. Und er würde niemals wegsehen können.
    »Er ist in Brackwasser ertrunken, einer Mischung aus Salz- und Süßwasser, wie man sie in den Lagunen und den sogenannten sublagunaren Kanälen findet.«
    »Wie viele gibt es davon?«
    »Hunderte. Mit einer Gesamtfläche von etwa 120 Quadratkilometern.«
    Balboni grinste. Er hatte den Salat hinter sich und seine gute Laune wiedergefunden.
    »Aber nicht überall gibt es dieselbe Salzkonzentration und dieselben Algenkulturen. Diese schwanken zwar permanent, doch die Gewässeraufsicht sammelt ebenso permanent die Aufzeichnungen. Wir können das Feld dank des Todeszeitpunkts ein wenig einengen.«
    Balboni stand auf und ging in die Bar, um zu bezahlen. Lunau fotografierte die Seiten des Obduktionsberichts mit seinem Handy ab, bis der Kommissar zurückkam und ihm die Kladde entriss: »Das hatte ich ganz vergessen«, sagte er und verschwand.
    Lunau blieb sitzen und dachte an Amanda. Er versuchtesie anzurufen, aber sie ging nicht an ihr Handy. Er stand auf, holte das Auto und fuhr zur Villa der Schiavons. Irgendwann würde sie dort

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