Der Tote am Lido
abgelaufen war, das konnte sie sich erst jetzt anhand von Lunaus Schrammen zusammenreimen.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie.
Er packte sie am Arm, schüttelte sie und konnte sichnur mit Mühe beherrschen, dass er ihr keine Ohrfeige verpasste. »Es tut dir leid? Bist du eigentlich noch zu retten?«, schrie er.
»Bitte …«, sagte Amanda, ihre Knie wurden weich. »Bitte, nicht hier.« Sie musste sich zusammenreißen, sonst fing sie zu weinen an.
Er zerrte sie hinter sich her und lief so schnell die Treppe hinunter, dass sie stolperte und in seinen Rücken fiel. Er schleppte sie bis zu ihrem Auto, warf sie auf die Rückbank und setzte sich neben sie.
»So, jetzt erklär mir das Ganze einmal.«
Amanda schwieg. Sie war zwar 1,80 groß, fast so groß wie er, aber sein maskuliner Körper schien sie zu erdrücken.
»Du schickst diese Joy zu mir, hetzt mir Michael auf den Hals. Der entführt Silvias Tochter, um an Joy zu kommen, während du Joy versteckt hältst?«
Sie redete noch immer nicht. Sie schluchzte, unterdrückte aber jedes Geräusch.
»Was sollte diese Komödie, dass du mir bei der Suche nach Michael geholfen hast? Macht dir das Spaß, Leute zu verarschen?«
»Ich hatte Joys Ausstieg seit Monaten angebahnt. Ich hatte ihr … ein Versprechen gegeben«, flüsterte Amanda.
»Und lieferst dafür ein achtjähriges Kind ans Messer?«
»Ich habe Joy ein Versprechen gegeben, bei Ex einen Eid geschworen. Wir haben unseren Regelkodex.«
»Was hat Sara mit eurem Regelkodex zu tun? Mit deiner verzweifelten Suche nach Anerkennung? Ist dasdie Art, wie du Gutes tun willst? Um vergessen zu können, dass du nur ein kleines verwöhntes Mädchen bist, das in Papas goldenem Käfig sitzt?«
Amanda sah Lunau direkt in die Augen. »Ach, ausgerechnet du hältst mir das vor? Wovon willst du dich denn reinwaschen? Ich dachte immer, der moralische Held wärest du?«
Er winkte ab. »Ich bin nur ein Idiot, der nicht nein sagen kann.«
Er ließ sich gegen die Rückbank fallen und starrte gegen das Wagendach.
Nach einer Weile setzte Amanda wieder an: »Was sollte ich denn tun? Ich hatte es Joy geschworen. Ich hätte nicht nur Joy gefährdet, sondern alle Frauen da oben. Meinst du, das ist mir leichtgefallen?«
»Du hättest Joy doch da rauslotsen können.«
»Wozu? Als Tauschobjekt?«
Lunau sah den Glanz der Tränen in ihren Augenwinkeln. Er atmete mehrmals tief durch. »Fang jetzt bloß nicht zu heulen an.«
Sie weinte trotzdem.
»Hör auf zu heulen!« Er schlug mit der Faust gegen die Nackenstütze vor sich. »Weißt du, wie sich solche Erlebnisse auf die Seele eines Kindes auswirken? Eines Kindes, das ohnehin traumatisiert ist?«
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Nein, das kannst du nicht. Michael ist ein Irrer. Sara ist von einem Irren gefangengehalten worden. Sara hat erst vor viereinhalb Monaten den Vater verloren.«
»Ich habe auch jemanden verloren«, flüsterte Amanda.
»Was? Red lauter.«
»Ich habe auch jemanden verloren. Ich kann mir vorstellen, wie Sara und Silvia zumute ist.«
»Dann begreif ich dich erst recht nicht.«
Sie schaute ihn an, ihre Lippen zitterten, und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre langen schmalen Hände. »Bitte, Kaspar«, sagte sie, »bitte.« Die Tränen liefen ihr über die Wangen, gleichzeitig schien sie zu lächeln, mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Du weißt nicht, was diese Mädchen erleiden. Es ist so … Manchmal denke ich, ich kann den Job nicht mehr machen.«
Er schlug ihre Hände weg. »Dann mach ihn nicht, wenn du ihm nicht gewachsen bist.«
»Bist du denn deinem gewachsen?«, platzte es aus Amanda heraus. »Kannst du denn ertragen, was du siehst? Und kannst du dich ertragen, wenn du wegsiehst?«
Sie schwiegen. Jeder starrte vor sich hin.
»Wie kannst du nur so naiv sein?«, fragte er.
»Das bin ich nicht.«
»Ach nein? Diese Joy hat dir ein Märchen nach dem anderen aufgetischt. Nigerianerinnen haben keine männlichen Zuhälter. Sie war die Geliebte dieses Michael, wollte den Liebhaber wechseln und sich einfach eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung besorgen, indem sie ihn ans Messer liefert.«
»Das stimmt nicht. Die Dinge sind nie so einfach.«
»O doch. Leider sind die Dinge manchmal verflucht einfach.«
»Sind sie nicht. Es stimmt: Michael ist in Joy verliebt.Aber nicht umgekehrt. Er hat ihr das Geld für die Reise vorgeschossen, aber er schickt sie auf den Strich und sieht sie als seinen Besitz an.«
Wieder schwiegen sie.
»Warum hat Michael nicht
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