Der Tote am Lido
E-Mail.«
»Verstehen Sie nicht? Es ist dringend.«
Sie reagierte nicht, sondern starrte auf ihren Computerbildschirm.
»Wer ist Ihr Chef?«, hakte Lunau nach.
»Wieso?«
»Ich will ihn sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»Ich will mich über Sie beschweren.«
Sie grinste, wandte endlich den Blick wieder vom Monitor und sah Lunau direkt in die Augen. »Da sind Sie nicht der Erste. Aber mein Wort hat für meinen Chef mehr Gewicht als Ihres, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über dieLippen, lächelte wieder, und Lunau hätte ihr am liebsten, über die Theke hinweg, eine gelangt.
Stattdessen legte er seine Visitenkarte auf den Tresen und sagte: »Würden Sie Frau Bacilieri bitte meine Karte zukommen lassen?«
»Na, aber selbstverständlich. Das mache ich doch gerne. Das wird sofort auf den Weg gebracht.«
Sie nahm die Visitenkarte, ließ den Bürostuhl ein Stück zur Seite rotieren, bis ihre Hand auf der Höhe einer Stapelablage angekommen war, und schnippte die Karte in ein Fach. »Noch was?«
»Welches ist das Büro von Frau Bacilieri?«
»Sie wollen mir auf den Zeiger gehen, oder?«
»Nein. Aber es handelt sich hier um die öffentliche Ausschreibung einer Pachtkonzession. Ich bin Journalist und habe das Recht, dazu Auskünfte einzuholen.«
»Sie werden Ihre Auskünfte bekommen. Auf dem Dienstweg.«
»Ich brauche sie sofort. Es geht um einen Mordfall.«
»Hui!« Das Mädchen wackelte mit den Händen an ihren Ohren.
»Sie werden Ihren Job verlieren.«
Das Mädchen lachte. »Welchen Job? Ich habe keinen Job. Ich habe hier einen Projektvertrag, von dem ich gerade mal die Strafzettel an meiner Windschutzscheibe bezahlen kann. Wenn ich nicht mehr herkommen muss, kriege ich auch keine Strafzettel mehr.«
Lunau ging an der Empfangstheke vorbei und las die Beschriftungen der Türplaketten. Ehe er den Namen »Bacilieri« gefunden hatte, gellte in seinem Rücken dieStimme des Mädchens: »Sie Arschgesicht. Ich lasse Sie rausschmeißen.« Lunau kümmerte sich nicht um sie, auch nicht um den Gehalt ihrer Kraftausdrücke. Er fand die richtige Tür, klopfte und wartete nicht, bis jemand antwortete. Er ging einfach hinein.
Frau Bacilieri saß an einem mit Akten und Papieren überladenen Schreibtisch. Ihr Kopf tauchte hinter, oder besser gesagt: neben einem Computermonitor auf, denn sie war von schmächtigem Wuchs. Sie starrte durch dicke Brillengläser Richtung Tür, schien aber so kurzsichtig zu sein, dass sie nur Schemen erkannte.
»Mein Name ist Kaspar Lunau«, sagte Lunau und winkte. »Ich bin wegen des Mordes an Meseret Zahié hier.« Er legte das Schreiben auf die Computertastatur. »Das haben Sie ihm geschickt, oder?«
Sie hielt das Blatt dicht vor ihre Augen und nickte.
»Was hat es zu bedeuten?«
»Na das, was hier steht. Wir bestätigen nur, dass die Konzession für das Pachtgrundstück X 23/233 b zurückgezogen wird.«
»Aus welchem Grund? Hatte Meseret irgendwelche Bestimmungen verletzt?«
»Nein. Er ist tot, sagen Sie?«
»Ja.«
Die Tür wurde aufgerissen, und das Mädchen vom Empfang kam mit einem drahtigen Glatzkopf in Jeans und Sakko herein.
»Was geht hier vor, Frau Bacilieri?«, fragte der Mann.
»Der Herr braucht eine Auskunft.«
»Stimmt es, dass er sich gewaltsam Zutritt zu Ihrem Büro verschafft hat?«
Frau Bacilieri zuckte mit den Achseln, warf dem Mädchen einen schnippischen Blick zu und sagte: »Mir hat er keine Gewalt angetan. Wissen Sie, es geht um Meseret Zahié.«
Der Glatzkopf steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte interessiert von Frau Bacilieri zu Lunau. »Was ist mit ihm?«
»Der Herr sagt, er sei ermordet worden.«
Der Bürochef zuckte zusammen. Lunau verstand die Situation nicht mehr. »Heißt das, Sie kannten Herrn Zahié persönlich? Alle hier?«, fragte er.
»Ich nicht«, sagte das Mädchen.
»Doch, natürlich«, sagte der Büroleiter. »Es war der Schwarze, der vor … Wann war das, Frau Bacilieri? Wann war er zum ersten Mal hier?«
»Das kann ich Ihnen genau sagen.« Sie tippte auf ihrer Computertastatur herum, starrte aus nächster Nähe auf den Bildschirm und sagte: »Am 3. November letzten Jahres.«
»Was wollte er?«, fragte Lunau. Frau Bacilieri und ihr Chef lachten. Letzterer sagte: »Na, das haben Sie doch selbst gesagt. Er wollte eine Konzession.«
»Und warum haben Sie sie ihm nicht gegeben?«
»Wer sagt, dass wir sie ihm nicht gegeben haben?«
»Gut, warum haben Sie sie ihm gegeben
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