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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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habe drei Schwestern, die jüngste ist erst elf …«
    Joy löste sich aus der Umarmung und blickte aus dem Fenster. Sie sah einen hässlichen Innenhof, in dem Wäsche zum Trocknen hing, ein paar große Eimer standen herum, die Autos hatten Öltropfen auf dem Beton hinterlassen. Die Muster, aus dem die Wasserflecken allmählich verdunsteten, waren noch das Lebendigste, was es zu betrachten gab.
    »Wir hatten doch alles genau besprochen. Hast du’s dir jetzt anders überlegt?«
    »Ich werde hier verrückt.«
    »Du musst nur die Zähne zusammenbeißen und ein wenig Vertrauen haben.«
    »Das höre ich seit 13 Monaten.«
    Vor 13 Monaten war Joy aus Benin City aufgebrochen, mit der Hilfe von Michaels Schwager. Michael hatte angeboten, ihr einen Einstieg in Italien zu ermöglichen.Er war in Joy verliebt, seit sie zwölf war. Joy wollte arbeiten, um ihre Schulden an Michael zurückzubezahlen, und sie wollte in Europa etwas aus ihrem Gesangstalent machen. Das war der Plan gewesen. Sie hätte als Putzfrau oder als Prospektverteilerin gearbeitet, sie hätte jeden Job gemacht, außer den einen.
    Amanda umarmte sie ein letztes Mal und sagte: »Ich muss los. Heute Abend komme ich noch einmal vorbei. Brauchst du etwas?«
    Joy setzte sich auf ihr Bett und schüttelte den Kopf. Amanda nahm ihren alten Mp3-Player aus der Handtasche und legte ihn neben Joy.
    »Du musst es tun. Für dich und für all die anderen Mädchen.«
    »Okay«, flüsterte Joy, und Amanda spürte eine Erleichterung, die einem Triumph glich. Joy war das erste Mädchen, das sie vom Erstkontakt bis zum Ausstieg begleitete. Aber sie war für Amanda mehr als nur eine Klientin.
    Da schrillte die Türglocke. Amanda sprang auf und trat in den Korridor. Das Dudeln der Stereoanlage hallte aus der Wohnküche. Ansonsten war Stille. Die Frauen saßen reglos in ihren Zimmern oder warteten, mit dem Ohr an der Tür. Drei Afrikanerinnen, zwei Rumäninnen und drei Italienerinnen.
    »Wahrscheinlich bloß die Zeugen Jehovas«, sagte Amanda.
    »Nein, das war nicht die Klingel an der Haustür. Das war hier oben«, sagte Nadia, die füllige Rumänin, deren Arme von Narben übersät waren. Die Brandfleckenhatte man ihr mit Zigarettenstummeln beigebracht, für das Gewirr aus geraden, leicht geschwollenen Linien war sie als Schlitzerin selbst verantwortlich.
    Die Frauen schlossen sich im Aufenthaltsraum ein, während Amanda zur Wohnungstür ging. Sie blickte durch den Türspion. Jemand schlug mit der flachen Hand gegen das Holz.
    Sie sah, durch das Fischauge zu einer Blase verzerrt, das Gesicht Kaspar Lunaus.
    »Mach auf«, rief er.
    Wieder drei harte Schläge. Amanda legte die Kette vor und öffnete die Tür einen Spalt.
    »Verschwinde«, raunte sie Lunau zu. »Männer haben hier keinen Zutritt.«
    »Ich glaube, ich habe eine Erklärung verdient. Ich weiß, dass du da drinnen mit Joy zusammensitzt.«
    Amanda warf die Tür wieder zu, lehnte sich dagegen und überlegte hektisch. Lunaus Schläge pochten in ihrem Kopf und in ihrem Rücken. »Wenn du nicht sofort verschwindest, rufen wir die Polizei.«
    »Von da komme ich gerade. Lass mich rein.«
    »Nein. Das ist gegen die Vorschriften.«
    Lunau schwieg. Sie blickte durch das Fischauge, er rang draußen seine Wut nieder und sagte dann: »Wenn ich nicht rein darf, dann müsst ihr rauskommen.«
    »Ich komme alleine. Aber geh von der Tür weg. Warte unten auf mich.«
    Sie schaute durch den Türspion und sah, wie Lunau einen Schritt zurückwich. Er schien zu überlegen.Amanda ging auf Zehenspitzen durch die Wohnung und klopfte leise an den Aufenthaltsraum.
    »Jemand muss mich rauslassen und die Kette wieder vorlegen.«
    Aus dem Zimmer kam kein Laut.
    »Hört ihr mich?«
    Lunau fing wieder an, gegen die Tür zu hämmern.
    »Wir rufen die Polizei«, zischte jemand durch die Tür.
    »Das dauert zu lange. Wir müssen sofort etwas unternehmen.«
    »Ich komme mit«, sagte Joy.
    »Nein, das geht nicht. Denk an die anderen hier in der Wohngemeinschaft.«
    Amanda sah Joy in die Augen. »Ich werde hier drinnen verrückt«, sagte diese.
    »Noch einen Tag. Bitte, halt noch bis morgen durch.«
    Sie umarmte Joy, löste sich, hängte die Kette aus und trat hinaus. Dann warf sie hinter sich die Tür ins Schloss.
    Lunau sah furchterregend aus. Er hatte ein Veilchen und Hämatome am Hals. Er war blass, fast grünlich im Gesicht, und er bewegte ruckhaft den Kopf. Amanda wusste zwar, dass Sara wohlbehalten zu ihrer Mutter zurückgekehrt war, aber wie die Befreiung

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