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Der Tote am Steinkreuz

Der Tote am Steinkreuz

Titel: Der Tote am Steinkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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schnüffelte, hob den Kopf und zog prüfend die Luft ein. Zum erstenmal sah Fidelma einen Ausdruck von Hoffnung in seinem Gesicht, und er gab ein leises Wimmern von sich.
    Gadra ging zu ihm, setzte sich auf einen Stuhl neben ihm und ergriff seine Hand.
    Fidelma konnte kaum glauben, wie sehr sich das Gesicht des Behinderten veränderte. Es leuchtete im Wiedererkennen und vor Freude. Sie sah, daß Gadra Móens linke Hand ergriffen hatte. Zuerst erschien es wie ein Ritual, denn Móen hielt die Hand gerade ausgestreckt mit der Handfläche nach oben. Überrascht beobachtete sie, wie Gadra mit den Fingerspitzen etwas auf die Handfläche des jungen Mannes zeichnete. Dann faßte Móen die Hand Gadras und machte ähnliche Zeichen darauf. Fidelma wurde klar, daß es das war, was Móen im Stall mit ihrer Hand versucht hatte. Sie hatte keinen Zweifel, daß nun ein richtiges Zwiegespräch stattfand. Die Bewegungen der Finger folgten einander schnell und immer schneller.
    Plötzlich begann Móen angstvoll zu stöhnen und wiegte sich vor und zurück wie in körperlichem Schmerz. Gadra legte ihm den Arm um die Schultern. Traurig blickte er Fidelma an.
    »Ich habe Móen gerade erklärt, daß Teafa tot ist. Er betrachtete sie als seine Mutter.«
    »Wie nahm er die Nachricht vom Tod Ebers auf?« fragte Eadulf.
    »Ohne Überraschung«, antwortete Gadra. »Ich glaube, das wußte er. Ich habe ihm gesagt, was geschehen ist und wessen er verdächtigt wird.«
    »Ihm gesagt?« Crítán begleitete seine Worte mit einem höhnischen Gelächter. »Komm, Alter. Der Witz ist ja gut, aber …«
    »Ruhe!« fuhr ihn Fidelma mit eisiger Stimme an. »Du verläßt uns jetzt. Du kannst draußen warten, bis wir dir Bescheid geben.«
    »Ich habe den Gefangenen zu bewachen.« Der Krieger lief rot an vor Ärger. »Es ist meine Pflicht …«
    »Es ist deine Pflicht, zu tun, was man dir sagt«, erwiderte Fidelma gereizt. »Geh und sag Dubán, deinem Kommandeur, daß ich dich nicht mehr in der Nähe dieses Gefangenen sehen will. Und zwar sofort!«
    »Du kannst doch nicht …«, setzte Crítán empört an.
    Eadulf stand auf und nahm ihn mit betonter Sanftmut am Arm. Nur der plötzliche Schmerzenslaut und das verzerrte Gesicht Crítáns verrieten, wieviel Kraft Eadulf anwendete.
    »Doch, wir können«, sagte Eadulf freundlich. »Du wirst hier nicht mehr gebraucht.«
    Er schob ihn fast auf die gleiche Weise aus der Tür, in der Crítán den Gefangenen hereingebracht hatte. Als Eadulf die Tür von innen schloß, grinste Gadra ihn an.
    »Wahrhaft pragmatisch. Du gefällst mir wirklich, mein angelsächsischer Bruder!«
    Fidelma hatte nicht weiter darauf geachtet, sondern Móen nachdenklich betrachtet. Sie wandte sich an Gadra.
    »Während er sich beruhigt, würde ich gern erfahren, nach welcher Methode du dich mit ihm verständigst. Ich muß wissen, ob diese Verständigung echt ist.«
    Gadra knurrte verärgert: »Glaubst du, ich habe mir das alles ausgedacht, mein Kind?«
    Fidelma schüttelte energisch den Kopf.
    »Nein, das meine ich nicht. Aber ich muß von Rechts wegen die Sicherheit haben, daß dies eine vollgültige Aussage des Jungen ist, denn wenn ich sie einem Gerichtshof vorlegen will, muß ich sie selbst in vollem Umfang verstehen.«
    Gadra sah sie einen Augenblick an und zuckte dann gleichmütig die Achseln.
    »Als Anwältin hast du sicher schon von dem alten Ogham-Alphabet gehört.«
    Fidelmas Augen weiteten sich.
    »Du benutzt das Ogham-Alphabet zur Verständigung?«
    Ogham war die früheste Schriftform des Volkes der fünf Königreiche und bestand aus einer Grundlinie, auf die kurze Linien zuliefen oder sie kreuzten. Zwanzig Buchstaben konnte man so darstellen. Die Vorfahren glaubten, der Gott Ogma, der Schutzpatron des Lesens und Lernens, sei ins südwestliche Muman, dem Ort aller Ursprünge, gekommen und habe die Weisen im Gebrauch des Alphabets unterwiesen, damit sie über Land und Meer reisen und den Leuten das Schreiben beibringen konnten. Die Buchstaben wurden oft in Hasel- oder Espenstäbe eingeritzt, und viele Grabsteine trugen Inschriften in Ogham. Mit der Einführung des neuen lateinischen Alphabets und der neuen Gelehrsamkeit war das Ogham außer Gebrauch gekommen. Fidelma hatte als Teil ihrer Erziehung noch die alte Schrift gelernt, denn viele Texte waren in dieser alten Form aufgezeichnet.
    Ihr wurde plötzlich klar, auf welche Weise man ein so einfaches Alphabet als Verständigungsmittel mit der Hand benutzen konnte.
    Gadra beobachtete den

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