Der Tote im Eiskeller
er zu bedenken, war der Sack aber zu klein.
Wagner hätte gerne mit der Faust auf den Tisch gedonnert, er riss sich zusammen. Noch eine Leiche! Hier ging es einzig um die unersetzlichen silbernen Deckelhumpen und, ja, um die Gewehre.
Und
um einen drohenden Aufruhr, was mehr als genug war, weit mehr. Und nun plapperte der dumme Kamm-Macher von einem weiteren Toten.
Natürlich hatte er keinen der Männer erkannt: Es war dunkel, es war stürmisch, er hatte nicht weiter darauf geachtet. Überhaupt war er jetzt nur zum Weddemeister gekommen, weil er seine Pflicht kannte. Und so spät, weil es ihm erst jetzt wieder einfallen war.
‹Erst jetzt, aha›, hatte Wagner gesagt. ‹Warum erst jetzt?›
Da hatte der Geselle nur betreten auf seine Finger geguckt, und Wagner hatte ihn weggeschickt.
Er hasste solche Zeugen. Sogar diesen, der einer Vermutung, die er immer wieder weggeschoben hatte, neue Nahrung gab, nämlich dass tatsächlich ein paar junge Bengel Schutz vor dem Sturm gesucht hatten, sehr wahrscheinlich betrunkene Bengel. Sie hatten die Tür aufgebrochen und, als sie die im Drillhaus verwahrten Schätze entdeckten, die Gelegenheit genutzt. Das war dumm gewesen. Die Strafen waren hart, für Diebereien von Eigentum der Bürgerkapitäne konnte es womöglich mit dem Galgen enden, selbst wenn es ihr erster Diebstahl gewesen war.
Solche dummen Kerle boten ihr Diebesgut meistens dem nächstbesten Händler an, dann würden die Humpen bald auftauchen. Wenn sie ein bisschen schlauer und nicht ganz so geldgierig waren, verkauften sie ihre Ware an einenMatrosen, dann waren die Humpen auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Erst in London, Kopenhagen, Bordeaux, Archangelsk oder Lissabon würden sie auftauchen, unerreichbar.
‹Und Altona?›, dachte er. Dazu mussten sie durchs Millerntor geschmuggelt werden, das gelang bei so großen kostbaren Krügen nur schwer, und das Risiko war viel zu groß. Er, Wagner, würde sie an Matrosen verkaufen. Das war am sichersten.
Und der Pulverdiebstahl auf der Bastion Eberhardus? Von dem wollte niemand etwas bemerkt oder gesehen haben, kein Soldat, kein Bürger, kein Nachtwächter, kein Herumtreiber – wahrscheinlich nicht einmal die Vögel, die in den Ulmen auf den Wällen nisteten. Der Gedanke, der ihn mitten in der vergangenen Nacht aus dem Schlaf geschreckt hatte, kehrte zurück und besserte seine Stimmung nicht: Womöglich war der Diebstahl des Garnisonspulvers eine eingefädelte Sache, um einen unlösbaren Fehler in den Abrechnungen und Lagerlisten auf diese so schlichte wie verwerfliche Weise zu korrigieren. Ein übler Gedanke, denn falls es tatsächlich so oder so ähnlich war, würde er die Diebe niemals finden. Es stimmte: Wenn mehr als zwei Männer an einer Gaunerei beteiligt waren, verplapperte sich immer einer. Irgendwann. Wenn das erst geschehen war, wurde weitergeplappert – bis die Nachricht auch ihn erreichte und er das erste Fädchen der Lösung in der Hand hielt. Bei der Garnison konnte er auf so ein Plappern, auf so ein Fädchen lange warten.
All das war so wenig erhellend wie erfreulich. Als er in den Neuen Wandrahm einbog, knurrte sein Magen vernehmlich, hoffentlich dachte Madame Herrmanns daran, dass ein Weddemeister um diese Stunde selten schon ein Abendbrot gehabt hatte.
Ausnahmsweise wurde ihm die Tür nicht von dem alten Diener geöffnet, der Claes Herrmanns, dem Hausherrn, schon gedient hatte, als der zu seiner Kaufmannslehre nach London aufbrach. Mamsell Elsbeth stand in der Tür und sah ihn, die Fäuste in die Hüften gestemmt, streng an.
«Ihr solltet längst bei Eurer Karla sein, Weddemeister», sagte die Köchin, «eine so junge Frau lässt man am Abend nicht allein. Sagt das Madame Herrmanns. Sagt ihr, sie soll Euch das nächste Mal früher herbestellen. Ach, das tut Ihr ja doch nicht. Habt Ihr Hunger? Natürlich habt Ihr Hunger. Madame ist im kleinen Salon, Mademoiselle Rosina ist auch schon da. Geht nur, Ihr kennt Euch ja aus. Ich bringe gleich einen Imbiss. Mögt Ihr kalten Schweinebraten? Von der Forellenpastete wird auch noch genug da sein.»
Wagner hätte ihr gerne einen Kuss gegeben. Der Respekt vor Elsbeth und die Tatsache, dass er nie wagen würde, eine andere als seine eigene Frau zu küssen, ließ ihn nur einen Dank murmeln und die Treppe hinaufstapfen. Er hoffte, sie werde auch von dem frischen Brot dazulegen, dessen Duft süß in der Diele hing.
Wagner hatte schon einige Male im kleinen Salon der Herrmanns’ gesessen. Beim ersten Mal
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