Der Tote im Eiskeller
Gesichter gezogenen Hüten vor ihnen auftauchten.
«Wer da?», fragte eine seltsam hoch lispelnde Stimme, und Rosina hörte Wagner erleichtert die Luft ausstoßen.
«Ich bin’s, Panne», sagte er, «Wagner. Seit wann schleicht ihr Nachtwächter wie die Katzen durch die Straßen?»
«Seit wir Männer fangen sollen, die Pfeffersäcke überfallen. Heute in so lieblicher Gesellschaft, Weddemeister? Liegt deine Wohnung nicht in entgegengesetzter Richtung?»
«Lass dein hässliches Grinsen, Panne. MademoiselleHardenstein ist eine Freundin von Madame Herrmanns, wir waren dort, ja, zu Gast. Soll eine junge Dame um diese Stunde allein nach Hause gehen?»
Der Name eines der wohlhabendsten Häuser der Stadt verwandelte Pannes anzügliches Grinsen schlagartig in ein ergebenes. Und weil Wagners Wohnung tatsächlich in anderer Richtung lag, weil Karla gewiss schon unruhig auf seine Heimkehr wartete und die Nachtwächter ihre Runde leicht auf die Fuhlentwiete ausdehnen konnten, wurde Rosina von zwei Männern in langen schwarzen Mänteln zum Kröger’schen Hof eskortiert.
Wagner eilte ein Stück des Weges zurück und bog in die Dreckwall genannte Straße ein. Vor dem Durchgang zum Hof des Böttchers blieb er stehen und lauschte. Irgendetwas hatte er gehört. Schnell schlurfende Schritte? Oder eine alarmierende Nachtwächterschnarre? Doch bis auf die üblichen sanften Geräusche einer fast gänzlich schlafenden Stadt war alles still.
Für den Rest des Weges bewegte er seine kurzen Beine so schnell er konnte, er freute sich auf sein Zuhause. Es gab keinen Grund zur Unruhe, auch wenn er den zweiten Nachtwächter nicht kannte, in Pannes Obhut war Rosina sicher wie – ja, so sicher wie bei ihm.
KAPITEL 10
Claes Herrmanns war trotz der langen Sitzung in ausgezeichneter Stimmung. Die Zusammenkunft der Commerzdeputation war wie üblich von Angelegenheiten des Handels und der Politik bestimmt gewesen, Themen, die ihm durchaus behagten, nur die häufig zäh verlaufenden Debatten ermüdeten ihn zunehmend. Er war eben kein junger Mann mehr, es gab nicht viel, das ihm noch frisch und neu war. Die Folgen der Flut, die sie lange beschäftigt hatten, waren heute kein Thema gewesen. Richtig munter wurde er erst, als es wie schon oft in der Vergangenheit um die Forderung an den Rat ging, eine speziell für die im Hafen und in der Elbe liegenden Schiffe zuständige Wache einzurichten und diese auch mit Musketen und schnellen, wendigen Booten auszustatten. Die Diebstähle nahmen überhand, und die Vorstellung, wie sich die Langfinger und ihre Komplizen an Bord über Schiffer und Kaufleute amüsierten, weil die sich dagegen so wenig zu sichern wussten, ließ ihm das Blut in den Kopf steigen.
Umso erfreulicher war, was bei portugiesischem Wein und Tabak in der ‹gemütlichen Stunde› nach dem offiziellen Teil ausgetauscht wurde. Insbesondere Köhlers Hinweis, es gebe da eine Möglichkeit, mit einem französischen Schiffer ins Geschäft zu kommen, um an den Engländern vorbei in deren amerikanischen Kolonien Handel zu treiben. Das war nicht erlaubt, genau genommen reine Schmuggelei, aber es war lukrativ, und wenn die Engländer glaubten, sie könnten den Handel in der halben Welt beherrschen, zwangen sie andere geradezu, nach Hintertürenzu den Pfründen zu suchen. Bei seiner Reise nach den Kolonien im vergangenen Jahr hatte er vielversprechende Beziehungen geknüpft. Wenn sich nun ein Schiffer mit verlässlicher Besatzung fand – die Amerikaner waren sofort dabei, wenn es darum ging, ihrem Mutterland eins auszuwischen. Es wollte nur alles gut und diskret organisiert sein.
Er musste daran denken, Anne diesen Teil der Gespräche noch vorzuenthalten. Sie kannte sich bestens mit dem Handel aus, er hatte ihren Rat schnell schätzen gelernt. Doch bei aller Unbeschwertheit im Umgang mit den hanseatischen Sitten konnte sie in diesen Dingen unerwartet engherzig sein. Besonders wenn sie ihre britische Heimat betrafen.
Über den Mord an Viktor Malthus wurde an diesem Abend höflich geschwiegen. Jedenfalls in seiner Gegenwart. Nur Bocholt, dem das als altem Freund zustand, erkundigte sich raunend nach Mademoiselle Lehnerts Befinden.
Müllerjohanns schmachvolle Begegnung mit einem Armengrab hingegen wurde ausführlich erörtert. Die Palette der Meinungen reichte von gerechter Empörung über die Unsicherheit in dieser Stadt bis zu kaum verhohlener Häme. Wilbur Heckers böses Erwachen vor dem Altar von St. Petri löste immer noch einhelliges
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