Der Tote im Eiskeller
hier raus, du kannst nicht in diesem Stall bleiben, keinen Tag länger. Der Sommer ist vorbei, und sag jetzt nicht wieder, die Ziegen wärmten dich.»
Hanne lächelte und schwieg. Sie tastete nach dem Tuch in ihrem Rücken, es war das, von dem Maline behauptet hatte, sie habe es verloren, und kuschelte sich in die wärmende weiche Wolle. «Erzähl’s ihr nur», murmelte sie dann. «Erzähl, wieso wir uns kennen.»
«Überleg dir, was du sagst», kam es leise von der Tür, «und ob du sie gut genug kennst.»
Die Geschichte, die Rosina nun hörte, war eine, wie sie den Menschen der Wandertheater und anderen Fahrenden häufig widerfuhr. Besonders war sie nur für die, denen sie geschah.
Beide Frauen waren auf Komödiantenkarren geboren.Malines Vater war ein guter Komödiant, so hatten ihre Eltern lange zu einer der besseren Gesellschaften gehört. Als er starb, war für Maline und ihre wenig talentierte Mutter dort kein Platz mehr. Sie musste sich einer anderen Gesellschaft anschließen, in der das Leben so armselig und schmutzig war wie die Possen, die sie vorführte, und zu der auch Hannes Eltern gehörten.
Die Mädchen waren damals gerade groß genug für erste Rollen als Putto oder als lebendes Gewicht für die Akrobaten. Bald fühlten sie sich als Schwestern. Hanne, die um zwei Jahre ältere, hatte stets ein Auge auf Maline, Maline, die Frechere, bot stellvertretenden Widerstand, wenn Hanne wieder einmal zu kurz kommen sollte. Malines Mutter lehrte die Mädchen gemeinsam Lesen und Schreiben und las ihnen aus ihrem letzten noch nicht verkauften Buch die Gedichte Brockes vor. Sicher waren es diese Poeme, dieser unermüdliche Dank an Gott für seine blühende Schöpfung, die in Hanne die Liebe zu den Gärten weckte.
Es war kein gutes Leben, aber sie kannten kein anderes. Erst als sie heranwuchsen und die Welt jenseits von Karren und Schaubühne zu verstehen begannen, erkannten sie, dass es etwas anderes geben musste, und versprachen einander, eines Tages dieses andere zu suchen und zu finden.
Die Komödiantengesellschaft spielte mit ihren bescheidenen Künsten und dem unzuverlässigen Prinzipal kaum genug ein, alle zu ernähren, die Mitglieder wechselten so oft wie das Wetter. Manche verschwanden ohne Abschied, wenn der Blick auf die Zukunft unerträglich und der Weg ins Ungewisse die bessere Alternative schienen. So verschwand auch Hannes Vater, und ihre Mutter erinnerte sich, dass sie eine Schwester hatte, der es besser ging.
Das war nun viele Jahre her. Obwohl die Mädchen noch sehr jung waren, als sie getrennt wurden, schafften sie es,einander nie ganz aus den Augen zu verlieren. Hannes kurze Briefe, die Maline irgendwo und oft lange Wochen nachdem sie geschrieben worden waren, erreichten, enthielten keine Klage, trotzdem begriff Maline, dass diese Tante, der es angeblich besser ging, nicht das gute Leben bedeutete, das zu finden sie einander versprochen hatten.
«Ihr gehört dieses Haus», fuhr Maline fort, «es sieht ordentlich aus, aber das ist es nicht.»
«Sie weiß doch, was für ein Haus das ist», erklärte Rutger, der immer noch die Tür bewachte. Ob um ihre Flucht oder das Eindringen weiterer ungebetener Gäste zu verhindern, hätte Rosina gerne gewusst. «Sie ist schon einem der Kerle begegnet, er hat es ihr gleich gezeigt.»
Madame Reginas Gasthaus, in dem Hanne und ihre Mutter Aufnahme gefunden hatten, war nur im Erdgeschoss eines, satter Gewinn wurde im ersten Stock mit Verbotenem gemacht, an den Spieltischen und in den Bordellkammern. Hannes Mutter gab schnell dem Drängen ihrer Schwester nach und verdingte sich als Hure, ihre Tochter schützte sie jedoch mit der Entschlossenheit einer Löwin. Hanne scheuerte Böden und Geschirr, schleppte Wasser, heizte im Winter die Öfen und bediente auch in der Gaststube. Ihre Mutter hoffte immer darauf, genug zu verdienen, um das Mädchen irgendwo, wo sie niemand kannte, in gute Obhut zu geben. Das war der Traum vieler Huren, den wenigsten erfüllte er sich. Es gelang ihr nur, durchzusetzen, dass Hanne in den Malthus’schen Gärten arbeiten durfte, wenn dort Tagelöhnerinnen gebraucht wurden. Die Arbeit in den Gärten, die frische Luft – das war besser als nichts.
«Und da hat sie dich getroffen», wandte sich Rosina an Rutger. «Kath hat es erzählt», erklärte sie auf sein Stirnrunzeln, «sie hat gesagt, du und Hanne kennt euch schon seit langer Zeit aus dem Garten am Gänsemarkt.»
«Ja, schon sehr lange.» Hanne war nicht eingeschlafen,
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